Die Politik muss uns anstoßen

Klimakultur? Die Konsumbürger in den Industrieländern können den Klimawandel nicht entschärfen. Dafür braucht es die Politik. Ein Einwurf

„Kaum ein Mensch kann allein um 80 Prozent energieeffizienter werden. Dazu muss die Politik das System der Energieversorgung umkrempeln“

Von Bernhard Pötter

Es war noch nie so einfach, die Welt zu retten: beim Zähneputzen die elektrische Zahnbürste stehen lassen und Handarbeit verrichten; die Aufbackbrötchen auf dem Toaster rösten und nicht im Ofen; zum Joggen in den Park gehen und nicht aufs Laufband; den Koffer für das Flugzeug leichter packen. Das sind einige der Tipps des UN-Umweltprogramms Unep für die Menschen aus den Industrieländern, um im täglichen Leben den Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid zu senken und das Klima zu schonen.

Die Idee ist gut, denn sie zeigt, dass Klimaschutz machbar ist und nicht im luftleeren Raum stattfindet. Sie ist auch deshalb gut, weil sie sich an einen der entscheidenden Player in der internationalen Umweltpolitik richtet: an die Konsumenten. Also an uns. Aber der Vorschlag, wir sollten und könnten durch kleine Verhaltensänderungen die Klimakrise entschärfen, hat etwas Skurriles und Weltfremdes. Wer meint, wir könnten mit Energiesparbirnen und Joggen im Park das Problem lösen, hat die Dimension des Klimawandels nicht begriffen.

Die Unep steht nicht allein mit ihren Ideen. Eine Flut von Ratgeberbüchern will uns erklären, dass wir mit dem richtigen Ökostrom schon alles richtig machen können. Klar ist zumindest, dass wir bisher sehr viel falsch machen, dass König Kunde nicht nur sein eigenes Land, sondern inzwischen seinen ganzen Planeten ruiniert. Je nach Schätzung sind die privaten Haushalte für bis zu 60 Prozent aller Umweltprobleme verantwortlich, die Konsumenten der Industrieländer müssen sich zwischen 20 und 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen direkt zurechnen lassen, drei Viertel aller Flugpassagiere sind aus privaten Gründen in der Luft. Das muss sich selbstverständlich ändern, und darüber wird (nachdem „der Verbraucher und Wähler“ vor und nach dem BSE-Schock lange eine heilige Kuh war) inzwischen auch ausführlich debattiert. Egal, ob wir „Klimaretter“ oder „neue Ökos“ sind, ob wir „mit 50 kleinen Ideen einfach die Welt verändern“ oder „unsere CO2-Gewohnheiten über Bord schmeißen“ sollen, der Fokus bleibt: Wer, wenn nicht wir Kunden in den Industrieländern, kann die Wirtschaft auf Ökokurs trimmen? Wer, wenn nicht wir Wähler, kann von unseren Regierungen mehr Engagement in der Klimapolitik fordern? Wer, wenn nicht wir Konsumenten, können die Welt ändern, indem wir uns und unser Verhalten ändern? Alle diese Argumente sind für sich genommen richtig – aber in der Summe sind sie falsch. Denn sie malen ein unrealistisches Bild von der Welt, sie gaukeln uns Entscheidungsfreiheiten vor, die wir selten haben und noch seltener nutzen, und sie lenken uns von der zentralen Frage ab, dass Klimapolitik eben POLITIK sein muss: dass Regierungen und Staaten Rahmen setzen müssen, um Emissionen zu vermeiden und neue Technologien zu fördern, dass manche Techniken verboten und andere massiv gefördert werden müssen – und dass dafür natürlich ungeliebte Subventionen verteilt werden müssen, wie es die Politik schon immer für Bauern, Kohlekonzerne und Atomkraftwerke getan hat und noch tut, wenn sie es für richtig hält. Die Individualisierung der Klimakrise kann dazu führen, dass dringend nötiges politisches Handeln in den Hintergrund tritt und sich die Debatte auf einen Wellness-Klimaschutz reduziert: Hauptsache, ich lebe emissionsfrei!

Der Verbraucher und Bürger kann nicht der erste Adressat von effektivem Klimaschutz sein. Das hat mehrere Gründe: Wir haben keine Zeit: Um den Klimawandel einigermaßen zu beherrschen, müssen die globalen Emissionen in den nächsten zehn Jahren stabilisiert werden und dann massiv sinken: für die Industrieländer in den nächsten 40 Jahren um bis zu 80 Prozent. Das ist nur machbar, wenn schnell und entschieden vor allem die Systeme der Energieversorgung umgekrempelt werden. Ein Umdenken der Kunden ist wichtig für die Akzeptanz dieser Veränderungen – aber neue Kraftwerke werden nicht per Volksentscheid genehmigt, sondern per Verwaltungsakt. Bis sich Ökodenken flächendeckend in der Bevölkerung durchsetzt, vergehen ein paar Generationen.

Wir haben keine Macht: Klimapolitik ist kein Ökogeschmuse, sondern knallharte Machtpolitik. Welche Staaten sichern sich welche Ressourcen, wer besetzt die Spitzenplätze bei neuen Technologien, wer zahlt an wen Kompensationen für Umweltschäden? Das können nur Regierungen verhandeln, unterstützt oder gebremst von Umwelt- oder Industrielobbys. Auch innerhalb der Staaten ist das Klimathema längst da angekommen, wo es hingehört: ins Machtgerangel zwischen Ministerien und Lobbys.

Wir haben keine Ahnung: Die technologischen Durchbrüche, die für einen besseren Klimaschutz notwendig sind, sind nicht Sache der Verbraucher, sondern müssen von Unternehmen und Forschungsinstituten geleistet werden. Verbraucher können sich nur darauf konzentrieren, die richtigen Dinge nachzufragen, und das heißt vor allem: Produkte mit höherer Effizienz, die zum Beispiel mehr Kilometer aus dem Liter Öl holen. Das ist schön, bringt uns aber in Sachen Klimaschutz kaum weiter. Denn gesteigerte Effizienz, das zeigen alle Studien, wird von einer Ausweitung des Verbrauchs wieder zunichte gemacht: Je weniger unsere Autos verbrauchen, desto mehr Kilometer fahren wir.

Wir haben keinen Einblick, wie wir unsere Klimabilanz verbessern können. Ein schlechtes Beispiel sind die zahllosen Angebote an „klimaneutralen“ Produkten, bei denen angeblich die Umwelt nicht belastet wird. Abgesehen von seriösen Dienstleistern wie atmosfair nutzen in dem Dschungel aus gutem Willen und Profitgier viele Anbieter unsere Blauäugigkeit aus. Effekt für unser Wohlfühlen: groß. Effekt für die Umwelt: marginal.

Wir haben kein Öko-Gewissen, oder zumindest handeln wir nicht danach. Wer davon ausgeht, dass der aufgeklärte Verbraucher schon das Richtige für seinen Geldbeutel, seine Gesundheit und seine Umwelt tut, der liegt falsch. Unser Konsumverhalten ist in hohem Maße irrational, und unsere Entscheidungen als Verbraucher und als Wähler werden von vielen Faktoren bestimmt, nicht von einem einzigen. „Wenn nur alle ein Dreiliterauto kauften …“ ist genauso irreal wie die Vorstellung: „wenn nur alle Armen links wählten …“. Statusdenken, persönliche Vorlieben oder traditionelle Denkmuster lassen sich nicht einfach vom Verstand wegökologisieren.

Die Umweltbewegung glaubt mit Macht an den Satz: „Viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, werden das Gesicht der Erde verändern.“ Das mag stimmen, wenn es um kulturelle Einflüsse geht, um graduelle Veränderungen, die über Generationen von den Rändern der Gesellschaft in den Mainstream wandern. Und auch in der Klimafrage ist es natürlich die richtige Wahl, Ökostrom zu beziehen, wenig Fleisch zu essen und das Auto mit dem geringsten Verbrauch zu kaufen – oder ganz darauf zu verzichten. Doch eine Konzentration auf das persönliche Verhalten ist gleichzeitig zu wenig und zu viel: zu wenig, weil es gegenüber den politischen Weichenstellungen zum Klimaschutz schlicht zu unbedeutend ist, und zu viel, weil man auch effektiven Klimaschutz betreiben kann, ohne aus dem Homo sapiens einen Homo oecologicus zu machen. So wie heute die Umweltbewegung hatte vor 20 Jahren die Friedensbewegung mit der Ansicht zu kämpfen, ehe man die großen Probleme lösen könne, müsse es erst auf der privaten Ebene funktionieren.

Die Sängerin Nicole gewann 1982 mit „Ein bisschen Frieden“ den Eurovision Song Contest. Tenor: Wenn wir nur alle ein bisschen netter zueinander wären, wäre das Wettrüsten der Supermächte auch bald kein Problem mehr. Doch der nukleare Holocaust wurde nicht durch Nettigkeit verhindert, sondern durch zähes politisches Verhandeln, unterstützt von lautstarken Protestdemonstrationen. Man konnte und musste den Menschen in seinem individuellen und kollektiven Aggressionsverhalten nicht ändern, um das Allerschlimmste zu verhindern.

Um die Klimakrise in erträglichen Bahnen zu halten, müssen wir nicht den neuen Menschen schaffen: Wir haben die Technik, wir haben das Geld, wir haben das Wissen. Was wir brauchen, ist politischer Wille. Und der darf sich nicht in der elektrischen Zahnbürste verheddern.

BERNHARD PÖTTER ist Journalist und Autor für Verbraucherpolitik und Klimawandel. Er lebt in Paris. Soeben ist von ihm erschienen: „Tatort Klimawandel – Täter, Opfer, Profiteure einer globalen Revolution“. oekom verlag, 2008