Die Bürgerlichen sind erst mal verschreckt

Der Kartenverkauf der Ruhrfestspiele läuft schleppend. Das Programm von Volksbühnen-Macher Frank Castorf soll schlecht kommuniziert worden sein und eher was für Jugendliche. Die kauften ihre Karten spät

Recklinghausen taz ■ Der Vorverkauf der Ruhrfestspiele ist in diesem Jahr ein Desaster. Gerade mal 4.500 Eintrittskarten wurden bisher verkauft. Im letzten Jahr waren es zu diesem Zeitpunkt bereits 25.000. Gestern tagte der Aufsichtsrat in Anwesenheit des neuen künstlerischen Leiters Frank Castorf in Recklinghausen. Krisenmanagement ist angesagt. Als mögliche Ursachen wurden die schlechte Kommunikation des Programms „No fear“ und die neue junge Publikumszielgruppe genannt.

Gerade der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will sich für sein Kind Ruhrfestspiele stark machen. „Castorf ist eben experimentierfreudiger als Hansgünther Heyme“, sagt Aufsichtsratmitglied Ingrid Sehrbrock für den DGB. Jetzt wolle man an die Berufschulen und Universitäten gehen und für das Programm werben. Mit Plakaten und was eine Gewerkschaft so alles machen könne ihren „Strukturen“. Ob das aber reichen wird, ist momentan noch unklar. Castorf selbst soll nun in die Medienoffensive gehen, doch der Chef der Berliner Volksbühne ist erst einmal in Paris.

Mit seinem Ruhrfestspiele-Programm hat er das bürgerliche Stammpublikum erst einmal vergrätzt. Im Festspielhaus soll ein dauerhafter Schlafsaal eingerichtet werden – Christoph Schlingensiefs „Wagner-Rallye“ ist sicher auch gewöhnungsbedürftig und Schorsch Kameruns „The Golden Age of Punk and Working“ ist bestimmt auch erst mal kein Renner bei den goldbehängten Edelpelzträgern. Schon seit Castorfs Nominierung hat der DGB ein flaues Gefühl im Magen. Was nach dem 2. Weltkrieg mit Kohle für Kunst einmal begann, gerät nun in einen kulturpolitischen Quantensprung. Vom biederen Heyme zum exzentrischen Castorf. „Es gibt Ängste beim DGB und eigene Interessen“, schon bei der Vorstellung seines Programms im Februar hat der neue Leiter das bestätigt. Und ob sich Gerard Mortiers Statement, dass Castorf die Sprache der Menschen an Rhein und Ruhr kenne und ins Theater bringe, bewahrheiten wird, muss sich erst noch zeigen. „Das Programm hat starke Berliner Akzente“, sagt Josef Hülsdünker vom DGB-Regionalvorstand Emscher Lippe.“ Das sei vielleicht im nördlichen Ruhrgebiet schwer verdaulich. „Wir liegen hinter unseren Erwartungen zurück“, sagte auch der Recklinghäuser Bürgermeister Wolfgang Pantförder. Er glaubt das der spätere Start des Vorverkaufs für die schlechten Zahlen verantwortlich ist.

Der Aufsichtrat der Ruhrfestspiele glaubt immer noch eine 70 prozentige Auslastung erreichen zu können. Allerdings räumte er nach der Sitzung in einer Presseerklärung ein, dass er auch mit einem mögliche Einbruch im ersten Jahr rechnet. Das erste Jahr sei immer auch ein Experiment. „Aus unserer bisherigen Theatererfahrung ist das gar kein so schlechter Vorverkauf“, sagt Matthias Pees, der Dramaturg von Castorf in Recklinghausen. Es sei klar, dass es Reserviertheit und ein Abwarten beim bisherigen Stammpublikum gebe. Dagegen sei niemand gefeit, der auch inhaltlich einen solchen Umbruch wagen würde. Doch beim Stammpublikum herrsche mehr Ratlosigkeit, als angenommen wurde. Das soll sich ändern. „Wir wollen dieses Publikum nicht vergraulen, sondern behalten“, sagt Pees. Er hofft auf die Zeit nach den Osterferien. Bis dahin soll es weitere Publikationen, Gespräche und knapp gehaltene Informationen geben, die vielleicht besser verstanden werden. Und die jüngeren Zuschauer, auf die man natürlich besonders schaue, seien auch eher geneigt erst kurz vor Toreschluß ihre Karten zu kaufen. PETER ORTMANN