schmickler macht ernst
: Es geht um die Blutwurst

WILFRIED SCHMICKLER: Der Mann mit der Axt holzt für die taz

Bislang dachte ich ja immer, die größten Gegner der Kölner seien die Nicht-Kölner, speziell die Essener und Münsteraner, jene destruktiven Kräfte, die den Kölnern die kulturelle Blutwurst auf dem vaterstädtischen Röggelchen neiden und sich deshalb erdreisten, eine eigene Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas einzureichen. Aber nein! „Die größten Gegner der Kölner sind die ungeduldigen Kölner!“

Zu den „ungeduldigen Kölnern“ zählen laut Ulrich Soénius vom Koordinierungsbeirat „Köln 2010“ die ortsansässigen Friedhofsfreunde, die sich erdreistet hatten, in aller Öffentlichkeit zu fordern, die Kölner Friedhofskultur in den Bewerbungstext zur „Destination Kulturhauptstadt“ aufzunehmen. Jetzt könnte man meinen, dass angesichts der aktuellen kulturpolitischen Kahlschlagsstrategie gerade den Friedhofsfreunden ein herausragender Platz in der Hauptstadt-Offensive zusteht, aber von wegen: da könnte ja jeder kommen.

Deshalb mahnt Beirat Soénius alle „Vertreter von Partikularinteressen“, sich zu fragen, „ob sie den Bewerbungsprozess mit öffentlichem Klagen befördern“. Wo er Recht hat, hat er Recht. Erst kommen die Friedhofsfreunde, dann die Parkplatzpfleger, dann die Nord-Süd-Fahrt-Fahrgemeinschaften und schließlich die Freunde und Förderer Poller Poller-Kultur. Kulturhauptstadt wird man eben nicht durch „die Aufzählung historischer Großtaten“, sondern durch neue Ideen und kreatives Schaffen.

Dieses kreative Schaffen kennt zur Zeit nur einen Zweck: den Gedanken der Kulturhauptstadt in „breite Bevölkerungskreise“ zu tragen. Und gerade die breiten Bevölkerungskreise ziehen da zur Zeit noch nicht so richtig mit. Nehmen wir die Figuren am Stammtisch meiner Lieblingskneipe – wenn die lesen, dass Anke Engelke („Jungfrau? Ich lach mich kapott!“) im Kulturatlas Nr. 2 schreibt: „Die Kölner an sich sind ja sehr kultur-affin“, dann werden die richtig sauer: „Ich lass mich hier doch nicht zum affin machen!“

Wie überhaupt die Nummer mit den 11 Botschafterinnen voll nach hinten losgeht. Mit Renan, Dörte und Alice ist kein kölscher Staat zu machen. Da braucht es Publikumswirksameres. Man nehme sich ein Beispiel am Deutschen Fußballbund. Dieser riesige Fußball vor der Oper. Da weiß jeder direkt: Aha! Balla-balla! Solch eindeutige Signale braucht auch die Kultur. Wie wär's mit einer überdimensionalen, begehbaren Blutwurst auf der Domplatte? Draußen spielen die Höhner „Do simmer dabei“, die 11 melaten-blond gefärbten Kultur-Botschafterinnen verteilen Kulturbeutel mit der Aufschrift „Dat is prima“ und im Inneren predigt rund um die Uhr Kölns Ästhetik-Papst Joe der Erste zum Thema: Die Dialektik von Geduld und Ungeduld im Spannungsfeld partikularer Interessenspartikel. Würde zwar auch keiner verstehen, sähe aber super aus. Und vor allem: wär mal was Neues!