Keine Geisel – keine Geiselnahme

Staatschutzjustiz zieht Schlussstrich unter den Komplex Besetzung der SPD-Zentrale durch PKK-Anhänger – Bundesanwaltschaft zog überraschend Revision zurück. Fünf Gerichte hatten sich mit der Kurdenaktion befasst

von KAI VON APPEN

Die spektakuläre Besetzung der SPD-Zentrale am 17. Februar 1999 durch eine Gruppe KurdInnen wird nicht auch noch als Geiselnahme in die Rechtsgeschichte eingehen. Die Bundesanwaltschaft (BAW) hat ihre Revision gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) zurückgenommen, das den PKK-Funktionär Ali Z. (48) im vorigen Dezember zwar wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ verurteilt hatte – nicht aber wegen Geiselnahme.

Die Aktion hatte vor fünf Jahren für Schlagzeilen gesorgt und sollte die Justiz lange beschäftigen: Damals waren rund 30 KurdInnen drei Tage nach der Entführung Öcalans durch den türkischen Geheimdienst MIT in das Hamburger SPD-Haus an der Kurt-Schumacher-Allee eingedrungen, damit sich die Partei für das Leben Öcalans einsetze. Die Polizei setzte unverzüglich zum Sturm auf das Gebäude an und löste eine Eskalation aus. Die KurdInnen verbarrikadierten sich, ergriffen den damaligen SPD-Kreisgeschäftsführer Dirk Sielmann und hielten ihn demonstrativ aus dem Fenster. Die Polizei brach ihren konfusen Brachialeinsatz ab und gewährte sogar den KurdInnen freien Abzug.

In den folgenden Jahren beschäftigten sich vier Landgerichtskammern mit dem von der Staatschutzjustiz zur Geiselnahme aufgebauschten Komplex und kamen eigentlich übereinstimmend zu der Überzeugung, dass, obwohl in einem Fall eine Haftstrafe wegen Geiselnahme verhängt worden ist, keine Geiselnahme stattgefunden hat – oder zumindest, so auch in dem besagten Fall, „nicht geplant“ gewesen war. Mehrere Jugendliche kamen sogar wegen Freiheitsberaubung und Nötigung nur mit einer Verwarnung davon, nachdem Sielmann als Zeuge auch in ihrem Prozess ausgesagt hatte, dass ihm zu keinem Zeitpunkt körperlicher Schaden angedroht worden sei.

Trotzdem rollte die BAW im vorigen Herbst den Fall noch mal grundsätzlich auf, um nun Ali Z. nach Abschluss eines unergiebig verlaufenen „Strukturermittlungsverfahrens“ als PKK-Gebietsleiter für die Region „Nordwest“ die Aktion doch noch als „Geiselnahme“ unterzujubeln. Und das, obwohl er nicht an der Aktion teilgenommen und das SPD-Haus nicht betreten hatte. Ali Z. hatte sich während der Besetzung lediglich vor dem Gebäude eingefunden.

Drei Monate verhandelte der OLG-Senat 3a gegen Ali Z. unter dem Vorsitz von Ernst-Rainer Schudt – der in einigen Monaten auch das 9-11-Revisionsverfahren gegen Mounir El Mottassadeq leiten wird – um dann auch zum Ergebnis zu kommen: Es hat keine geplante Geiselnahme gegeben. Dennoch verurteilte das Gericht den ehemaligen kurdischen Parlamentarier wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft. Der Kunstgriff: Er habe Kraft seiner Funktion in der verbotenen PKK eine Drahtzieherrolle gehabt – oder aber die Möglichkeit, die Aktion abzubrechen.

Da die BAW jetzt ihre Revision gegen das OLG-Urteil ohne Begründung zurückgezogen hat, hat Ali Z.s. Anwalt Jürgen Schneider einen Antrag auf Haftentlassung nach „Halbstrafe“ gestellt, die in der vorigen Woche abgelaufen ist. „Darüber ist noch nicht entschieden“, sagt Schneider. Er rechnet sich Chancen aus, nachdem nun auch die BAW erkannt hat, dass es keine Geiselnahme gegeben haben dürfte, da es gar keine Geisel gab.