Distinktion für Dumme

Das berühmteste Monogramm der Welt: Am Donnerstagabend eröffnete Louis Vuitton eine neue Dependance im Quartier 206. Ein paar längst überfällige Anmerkungen zu einem Phänomen

VON BRIGITTE WERNEBURG

Selbst Asfa-Wossen Asserate – oder Martin Mosebach? – ist dieser Luxusmarkenartikel in seinen „Manieren“, dem Buch, das nicht zuletzt wegen der strittigen Autorenfrage für Aufsehen sorgte, eine ganze Seite wert. Es geht um Louis Vuitton und das Problem, ob ein Mensch von Geschmack wohl Koffer oder Taschen von Louis Vuitton benutzen darf. Die Frage zu beantworten ist kompliziert, denn es geht um Distinktion, um die berühmten feinen Unterschiede, die wiederum aus ganz unterschiedlichen Gründen, von unterschiedlichen Gruppen und Individuen ganz unterschiedlich bewertet werden. Am Ende ist das Ergebnis denkbar einfach.

Zunächst aber geht es bei Vuittons traditionellem „Monogram Canvas“ um hässliche Taschen zu hässlichen Preisen. Gerade deshalb aber sind sie so sexy. Da sie den wenigsten gefallen und sich umgekehrt die meisten Menschen fragen, warum sie für diese aus plastifizierter Leinwand hergestellten und mit dem beigefarbenen Monogramm der Firma übersäten braunen Taschen tausende von Euro ausgeben sollen, muss an ihnen etwas dran sein. Es muss sich um Klassiker handlen, mit großer Tradition und hohem Gebrauchswert. Auf dieser Basis hat Louis Vuitton auch lange überlebt. 150 Jahre alt wird die Firma dieses Jahr.

Zu jener Luxusmarke freilich, die so begehrt ist, dass sich Asfa-Wossen Asserate fragen muss, ob sie Leuten mit Stil überhaupt noch steht, ist Louis Vuitton erst in den letzten 20 Jahren geworden. Das hängt nicht zuletzt mit einer Frage zusammen, die der Autor der „Manieren“ gar nicht behandelt, obwohl sie für sein Problem kardinal ist: die Frage des Fakes. Eine Frage, die Louis Vuitton übrigens von Anfang an begleitete. Die allenthalben auftauchenden Kopien führten überhaupt erst zum Monogram Canvas, das George Vuitton, der Sohn von Louis Vuitton, schon 1897 als registriertes Markenzeichen eintragen ließ. Das Monogramm sollte verhindern, dass andere Koffer und Taschen unter dem Namen „Louis Vuitton“ verkauft werden konnten. Die Strategie ging nicht wirklich auf. Oder doch?

Es lässt sich jedenfalls beobachten, dass Louis Vuitton umso mehr seiner Lederwaren verkauft, je mehr diese als Fake an Touristenorten wie Venedig oder New York feilgeboten werden. Zu viel hübscheren Preisen als das Original, versteht sich. Je häufiger die Taschen auf der Straße, in Geschäften, Galerien und Restaurants auftauchen, desto mehr begehren sie die Leute; und je mehr Tussis ihre Fakes spazieren tragen, desto öfter glauben berufstätige Frauen, sich diese Tasche in echt leisten zu müssen. Louis Vuitton betreibt heute immerhin 319 Geschäfte in 52 Ländern. Für diesen Aufschwung musste schon eine ganze globale Mittelschicht zu jener traditionellen großbürgerlichen Käuferschicht dazustoßen, die früher für ihr Gepäck in die Rue du Faubourg Saint-Honoré oder in Londons Bond Street pilgerte. Es waren die kleinen Mädchen mit den Fakes, die der Marke plötzlich ein junges, extrem modisches Image verschafften. Ein Image, das den traditionellen Käufern mit Sicherheit reichlich egal war.

Mit diesem neuen Begehren hängt es auch zusammen, dass Louis Vuitton nun am Donnerstagabend, am 11. März, in der Friedrichstraße im Quartier 206 sein elftes Geschäft in Deutschland – und sein drittes in Berlin – eröffnete, mit einer riesigen Party mit wenigstens 2.000 Gästen. Es ist ein schöner Laden, mit weißem Natursteinboden und viel hellem Holz für die Vitrinen; neben den Lederwaren werden dort auch Schuhe, Schmuck und andere Accessoires angeboten; die Ready-to-wear-Kollektion, für die der Designer Marc Jacobs verantwortlich zeichnet, gibt es am Ku’damm, die Lederwaren im KaDeWe. Die dortige Dependance wird ihre Verkaufsfläche demnächst verdoppeln. Seit Jahren laufen die Geschäfte für Louis Vuitton extrem gut, an zweistellige Zuwachsraten ist man gewöhnt. Der Grund für den Aufschwung liegt vor allem an Bernard Arnault und seiner LVMH-Gruppe Moët Hennessy Louis Vuitton, die das Familienunternehmen übernahm und mit seiner Kapitalzufuhr zum Global Player ausbaute. Sieht man von London ab, wurde 1977 in München das erste Geschäft außerhalb Frankreichs eröffnet.

Ich erinnere mich noch, dass damals an der Isar eine Monogramm-Handtasche namens „Le Noé“ als todschick galt, die eigentlich ein einfacher Beutel war, 1932 für den Transport für fünf Flaschen Champagner entwickelt. Es ließe sich also eine ganze Kulturgeschichte des Reisens und des Lebensstils anhand der Vuitton-Taschen skizzieren, denn viele Taschenformen sind älter, als man ahnt; allerdings haben sie ihre ursprüngliche Funktion verloren und werden heute ganz anders benutzt. Wäschesäcke und Zusatztaschen für den Reisekoffer etwa wurden eigenständige Gepäckstücke wie die „Steamer Bag“ oder der „Keep all“. Einen wenigstens zwanzig Jahre alten, entsprechend mit Patina versehenen und daher erst richtig schönen „Keep all“ sowie eine zerknitterte Plastiktüte aus irgendeinem Supermarkt, aus der zu allem Überfluss das Bein einer eleganten Pyjamahose herauslugte, schlenkerte übrigens Fashion-Designer Ossie Clark in seiner Linken, als ich vor Jahren mit ihm am John F. Kennedy Airport in New York auf den Bus nach Manhattan wartete.

Mit Ossie Clark, einer Ikone des Swinging London der 60er-Jahre, lässt sich auch die Frage beantworten, ob und wann ein Mensch mit Stil Louis Vuitton benutzen kann. Selbstverständlich lautet die Antwort ganz anders als bei Asfa-Wossen Asserate. Nicht derjenige, der weiß, was er tut, kann es sich leisten, Louis Vuitton zu benutzen; nicht der, der sich hundert Gedanken gemacht hat, ob er über eine mögliche Verwechslung mit dem Plebs, der Mittelschicht eben, die heute Louis Vuitton trägt, erhaben ist. Mit LV immer noch stilvoll aussehen kann nur derjenige, der sich keinerlei Gedanken darüber macht und daher zwischen einem „Keep all“ und einer Plastiktüte keinen großen Unterschied macht. Zu dieser Nonchalance ist das Fußvolk noch immer nicht in der Lage.