In der Kanzlermaschine

Das ewige Wunder über den Wolken: Unterwegs mit Gerhard Schröder

Nur die Leibwächter des Kanzlers starrten gebannt auf die Leinwand

Wir flogen nach Amerika. Der Kanzler, der Albi und ich. Der Albi ist Presse, ich bin es auch. Es war ein Achtstundenflug, und acht Stunden sind acht Stunden. Bei einem Achtstundenflug merkt man erst, wie langweilig das alles ist. Albi zog seine Karten raus, und wir spielten Skat mit Ingo und Rolf, zwei abgebrühten Nachrichtenjägern vom Boulevard. Zu viert klemmten wir uns um einen Klapptisch. Es war schrecklich langweilig. Einmal kam der Kanzler vorbei, hielt eine Art Pressekonferenz und sagte, was er alles in Amerika und vom Präsidenten erwarte, und dass er denke, es werden gute Gespräche. Das dachten wir auch.

Den Albi kannte ich seit zehn Jahren. Wir trafen uns oft in der Kanzlermaschine. Wir mögen uns. Albi ist ziemlich groß, und mit seinen langen Beinen kann er im Flugzeug nicht schlafen. Dann erzählt er mir von seinem Steuerberater. Manchmal auch von seinen Schwiegereltern. Oder wir schauen Filme. Auf unserem Flug nach Amerika lief im Bordkino „Das Wunder von Bern“. Albi stöhnte. Als wir mit dem Kanzler in China waren, lief „Das Wunder von Bern“, als wir in die Türkei flogen „Das Wunder von Bern“ und bei der Afrikareise „Das Wunder von Bern“. Und jetzt schon wieder. Vorne jaulte der Mann von der Nachrichtenagentur, hinter mir schlug einer mit dem Kopf gegen den Klapptisch. Und Ingo läutete nach der Stewardess. Wir waren am Ende.

Nur die Leibwächter des Kanzlers starrten gebannt auf die Leinwand. Ich bewundere diese Menschen, die immer präsent, aber nie da sind. Sie tragen selbst bei großer Hitze schusssichere Westen, werfen sich im Ernstfall vor den Kanzler und müssen seit Wochen „Das Wunder von Bern“ anschauen. Die waren aus anderem Holz geschnitzt.

Eigentlich konnten wir froh sein. Neulich zeigten sie in der Kanzlermaschine „Freaky Friday“. Als der Film anfing, schauten Albi und ich uns betreten an. „Wie steht es um ein Land, wenn im Bordkino des Regierungschefs ‚Freaky Friday‘ läuft“, fragte ich damals Albi. Doch Albi war nur erleichtert, dass er nicht mehr Fritz Walter beim Kicken zuschauen musste. Nach einer halben Stunde „Freaky Friday“ atmete er schwer und bestellte Rotwein. Der Kanzler zeigte sich nicht während des Flugs. Wir flogen nach Ägypten. Es war sehr heiß. Am letzten Abend aßen wir eine verdorbene Mousse au Chocolat. Die Nacht war furchtbar. Auf dem Rückflug waren alle krank und blass.

Wie gelähmt schaute ich nun „Das Wunder von Bern“. Ich hatte die Kopfhörer nicht aufgezogen und dachte, wie es wäre, wenn sie in der Kanzlermaschine mal einen Dokumentarfilm zeigen, so einen, wo es um ein kompliziertes Liebespaar geht, das immer am Meer steht und vom Sinn des Daseins redet, während die komplizierte Frau immer wieder zum Meer rausguckt, und der komplizierte Mann einen Stein übers Meer wirft, und die Kamera diesen Stein verfolgt, und alles Bedeutung hat, jeder Satz Tiefe – und am Ende sind alle tot, aber glücklich. Obwohl, würde dieser Film tatsächlich im Bordkino gezeigt, würden sich die BKA-Beamten wahrscheinlich durch die schusssichere Weste gegenseitig erschießen.

Ich sah mich um. Albi starrte aus dem Fenster. Rolf studierte den Notausgang. Und Ingo hatte sich mit der Stewardess angelegt. „Eine Schmonzette ist das, widerlich“, rief Ingo. Die Stewardess zuckte mit den Achseln und brachte ihm einen Wodka.

Wir sind dann in Washington angekommen. Die Gespräche mit dem Präsidenten waren gut. Später sind wir nach New York geflogen und am anderen Tag zurück. Im Bordkino lief „Das Wunder von Bern“. Die BKA-Leute blickten gebannt auf die Leinwand. Albi trank Rotwein. Ich presste meinen Kopf gegen den Sitz. Später spielten wir Skat. Der Kanzler spielte mit. Es war zum Verzweifeln. CHRISTOPH SCHLEGEL