Umbruch mit Erfolg

Der SC Magdeburg sieht sich erst am Beginn einer neuen Ära. Auch deshalb geht er gelassen in die Champions-League-Halbfinals gegen Flensburg

AUS MAGDEBURG FRANK KETTERER

Was es noch zu sagen gibt zum nächsten Gegner, der doch ohnehin immer der schwerste ist, auch im Handball? Alfred Gislason zuckt die mächtigen Schultern, auf denen sein kantiger Schädel ruht. Ist doch schon alles gesagt zum Thema, soll das heißen. Dann fasst der Trainer des SC Magdeburg aber doch nochmal zusammen, was man über die SG Flensburg/Handewitt so wissen muss. Er sagt: „Flensburg ist in voller Besetzung eine der besten Mannschaften der Welt. Wir müssen schon super spielen, wenn wir gewinnen wollen.“ Viel mehr muss wirklich nicht mehr gesagt werden.

Vielleicht das noch: Der SC Magdeburg hat in der Bundesliga in dieser Saison zweimal schon gewonnen gegen die Flensburger, das letzte Mal erst vor knapp zwei Wochen. 32:26 endete das Spiel in der Bördelandhalle. Und auch wenn die SG damals keineswegs in voller Besetzung angetreten war, weil Sören Stryger und vor allem Spielmacher Christian Berge verletzt gefehlt hatten, haben sie beim SCM nun doch die Gewissheit, dass auch im Halbfinale der Champions League alles möglich ist. „Der Ausgang der beiden Spiele ist völlig offen“, brummt SCM-Coach Gislason mit seiner dunklen Stimme aus der Tiefe des Bauchraums. Er brummt auch: „In der Champions League ist es sogar leichter für uns.“ Leichter als in der Meisterschaft, soll das heißen, wo Flensburg mit einem Punkt vor den Magdeburgern führt und auch noch das deutlich leichtere Restprogramm vor sich hat.

Und leichter sogar als im DHB-Pokal, wo beide Mannschaften im Finale noch einmal aufeinander treffen könnten, im Halbfinale stehen sie schon. Und schon das alleine beweist: Wenn die Spielgemeinschaft aus Flensburg eine der besten Mannschaften der Welt ist, dann ist es der Sportclub aus Magdeburg allemal auch.

Erfolg kann man ja immer an Titeln ablesen. Im Briefkopf des SCM stehen unter anderem: Die deutsche Meisterschaft 2001, der Gewinn des EHF-Pokals im gleichen Jahr, ein Jahr später jener in der Champions League – als einziger deutscher Klub haben die Magdeburger diese gewonnen. Nur letzte Saison hat es nicht so geklappt mit großen Titeln – und in dieser noch nicht, die Würfel sind schließlich noch am Fallen. Vielleicht sichern sich die Magdeburger eine der drei Trophäen, was wahrscheinlich scheint. Vielleicht alle drei, was unwahrscheinlich ist. Vielleicht gehen sie aber auch leer aus, selbst das ist nicht unmöglich, die Luft ist dünn dort oben, auf dem Dach der Handballwelt.

Klaus-Uwe Hildebrandt weiß das, er ist lange genug im Geschäft. Panik aber oder gar Versagensangst löst das beim Manager des SCM nicht aus. Ginge es nach Hildebrandt, könnte die Saison vielmehr heute schon beendet sein. Jetzt. Sofort. Gleich. Ganz ohne Titel. Jedenfalls gibt das Hildebrandt so von sich. Er sagt: „Wir können doch jetzt schon nur noch gewinnen. Alles was noch kommt, ist Zugabe.“ Um den Grund für diese zurückhaltende Erwartungshaltung beschreiben zu können, hat der Manager eigens einen Begriff kreiert: „Umbruchjahr.“ Just in einem solchen befinde sich der SCM derzeit, sagt Hildebrandt.

Der Begriff ist klug gewählt, denn er gestaltet den Rest der Saison einigermaßen einfach für die Magdeburger: Können alles und müssen doch nichts gewinnen. „Der Druck liegt doch bei den anderen. Die müssen gewinnen“, sagt Hildebrandt. Die Botschaft, die sich dahinter verbirgt: In Flensburg geht eine Ära zu Ende, in Magdeburg hingegen steht gerade eine neue an.

Man könnte das als Prophylaxe werten für den Fall, dass tatsächlich alle Titel ausbleiben. Man kann das aber auch ganz nüchtern nachvollziehen, an Fakten fehlt es nicht: In unmittelbarer Folge verlor die Mannschaft zuletzt Olafur Stefansson, ihren Kopf, Gueric Kervadec, ihren Kreisläufer von Weltklasse, sowie Henning Fritz, den Nationalmannschaftstorhüter. Auf andere Großkaliber wie Nenad Perunicic und Oleg Kuleschow wiederum musste sie über weite Strecken verletzungsbedingt verzichten. An ihrer statt kamen Spieler wie Grzegorz Tkaczyk, Stephan Just (beide im Rückraum) oder Torhüter Johannes Bitter, gerade Mal 21 Jahre alt. Für alle drei gilt: Verdammt jung, verdammt gut – aber bei weitem noch nicht ganz oben, sondern bestenfalls auf dem Weg dorthin.

„Wir haben eine sehr junge und sehr talentierte Mannschaft“, sagt Alfred Gislason, der Trainer. Und auch, dass diese sehr junge und sehr talentierte Mannschaft bestimmt noch „ein, zwei Jahre Zeit“ brauche, um ihr ganzes Potenzial ausschöpfen zu können. Dass es schon in dieser Saison zu so viel Erfolg reicht, ist deshalb nicht wenig überraschend, schließlich handelt es sich um ein Umbruchjahr. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass wir so erfolgreich sind“, sagt Manager Klaus-Uwe Hildebrandt. „Ich weiß doch auch nicht, warum das so ist“, ergänzt Trainer Alfred Gislason. Darüber beklagen freilich wollen sie sich nicht.