Strategische Dummheit

Der wirklich allerletzte Beweis für das ultimative Ende der Poplinken: Mieze und ihre Band Mia besingen auf ihrem neuen Album „Stille Post“ vor allem Gefühle, die einen in ihrer vollen politischen Naivität aber mit einer gewissen Wahrhaftigkeit anlachen

VON TOBIAS RAPP

Keine Frage, diese Band ist dumm wie Brot. Was musste man nicht alles ertragen in den letzten Monaten, wenn man den Drehungen und Wendungen der Karriere der Berliner Elektropunkcombo Mia folgte. Schon vor dem Skandal um ihr Stück „Was es ist“ war sie ein konstantes Ärgernis. Mit der Penetranz einer unvermeidlichen Kulturkatastrophe wurde sie von ihrem Management um den Block gejagt, um das neue Berlin zu repräsentieren, wo immer sich eine Kamera zeigte.

Mit ihrem Stück „Was es ist“ riss die Band dann noch einmal mächtig den Hall auf: Inspiriert von den Protesten gegen den Golfkrieg und einem Gedicht von Erich Fried spielten sie ein Liebeslied an Deutschland ein, das sie bevorzugt schwarz-rot-gold gewandet vorzutragen pflegten. Als sei das noch nicht genug, kriegten sie sich vor Erstaunen kaum noch ein, als sie damit bei Antifagrüppchen keine Beifallsstürme ernteten, sondern mit Eiern beworfen wurden.

Schaut man sich an, was das an Mia angedockte Künstlerkollektiv angefangen.de auf seiner Homepage so zu vermelden hat, wünscht man sich schon nach wenigen Worten die argumentative Stringenz von Dr. Mottes legendären Love-Parade-Ansprachen zurück. Da wusste jemand noch, was er sagte.

Nun ist Dummheit aber nicht die schlechteste Voraussetzung, wenn man eine Karriere als Popstar anstrebt. Und der Aufstieg von Mia, die es tatsächlich innerhalb von zehn Monaten geschafft haben, von einem Auftritt bei der Berliner Revolutionären 1.-Mai-Demo zur deutschen Vorentscheidung für den Grand Prix überzuwechseln, kann für diese These durchaus als Beleg dienen. Dummheit allein reicht allerdings nicht aus. Man muss sie auch adäquat artikulieren können, was ohne eine gewisse Cleverness und gesteigerten Mut zur Peinlichkeit nicht zu haben ist. Das kann dann durchaus Charme entwickeln. Womit man Mias Erfolgsrezept passgenau umrissen hätte.

„Stille Post“ (ROT/Sony) heißt Mias neues Album, und gut die Hälfte der Stücke widmen sich dem konsequenten Nicht-Zu-Ende-Denken von Gefühlen über die Welt und dem damit einhergehenden Verwechseln dieser Befindlichkeiten mit Politik. Am deutlichsten erkennbar in „Was es ist“, jenem Stück, das in Antifakreisen zu einer Mobilisierung führte, wie es sie wahrscheinlich das letzte Mal nach den Pogromen von Rostock gab. Man gehe in einer beliebigen Kreuzberger Kneipe aufs Klo – die „Mia sind übel, Deutschland muss sterben“-Spuckis verschönern dort bis heute so gut wie jede Wand.

Dabei geht es in „Was es ist“ eigentlich gar nicht um Deutschland. Es geht um ein Gefühl, wie man es vielleicht als 20-jährige Rucksacktouristin hat, die durch Europa reist, sich irgendwie schämt, Deutsche zu sein, und alles daran setzt, nicht als solche identifiziert zu werden, sich zu dieser Scham aber in kein Verhältnis setzen kann. All die anderen Menschen, die sie auf ihrer Reise trifft, haben aber überhaupt kein Problem mit Deutschland. Im Gegenteil, die finden es gut, dass der deutsche Außenminister ein ehemaliger Straßenkämpfer ist und seine Regierung gegen den Krieg. Ist also doch irgendwie okay, Deutsche zu sein, denkt sie sich als sie nach Hause kommt, und man muss sich gar nicht schämen.

Oder „PROtest“, ein Stück, das man sich vorstellen kann wie den inneren Monolog eben jenes Mädchens, nachdem ihr älterer Bruder ihr gesagt hat, immer nur gegen was zu sein, sei auch blöd. Richtig, denkt sie sich, eigentlich bin ich ja auch für was. Für Menschen, zum Beispiel. Aber gegen Grenzen und gegen Krieg. Es sind Gefühle, die hier besungen und mit einem zeitgemäßen Elektropunksound umkleidet werden. Gefühle, die einen in ihrer vollen politischen Naivität durchaus mit einer gewissen Wahrhaftigkeit anlachen. Gefühle, denen man in ihrem emotionalen Nachvollzug der Idee eines rot-grünen Kuschel-Deutschlands höchstens vorwerfen könnte, sie seien unpolitisch, weil sich in ihnen keinerlei Idee eines Konflikts findet, weil nie ein Gegner benannt wird. Es sind Gefühle, auch wenn sowohl Mia als auch ihre Kritiker sie für Argumente halten. Aber Hohlköpfe mit Zugang zum medialen Sendemast haben leider die unselige Tendenz, andere Hohlköpfe anzuziehen.

Trägt man diese Kontroverse auf einer größeren Landkarte ein, so handelt sie aber ohnehin von etwas ganz anderem. Genau wie der Erfolg von „Wir sind Helden“ symbolisiert sie das Ende der Poplinken, wie sie in den letzten zwanzig Jahren zwischen Köln und Hamburg entwickelt worden ist. Mit dem Konzept der strategischen Schlauheit ist es vorbei. Hier gibt es keine Ironie mehr, kein bewusstes Spielen mit Zeichen aus 100 Jahren subversiver Kulturproduktion, kein Bewusstsein für die Feinheiten der Identitätspolitik oder Dekonstruktionsphilosophie, das sich in Spurenelementen ja bis in Jan Delays „Ich will nicht, dass ihr meine Lieder singt“ finden lässt. Von nun an wird man sich mit strategischer Dummheit herumschlagen müssen.