Nach mir die Sintflut

Keine Zeit jetzt: Sebastian Hartmann macht an der Berliner Volksbühne aus Majakowskis „Mysterium Buffo“ ein hektisches Endzeitspiel

Wenn sich die Revolution zur Abwechslung mal von ihren eigenen Kindern fressen lässt, dann sieht das ziemlich unappetitlich aus. Gleich kiloweise werden schlabbrige Spaghetti in die Mäuler gestopft und speiend in der Gegend verteilt. Die beiden Gestrandeten, die von ihrer Arche aus das Ende der Geschichte übersehen, reden laut schmatzend über Gott und die Welt und wer wen wohl zuerst verlassen hat. Wie hältst du’s mit der Religion? War Jesus bei klarem Verstand oder doch nur ein schizophrener Hochstapler?

Na ja, was soll man schon darauf antworten inmitten all des Treibguts und der über Bord geworfenen Illusionen. Ein Achselzucken über den Weltenlauf ist so ziemlich das Einzige, was Sebastian Hartmann unserem postutopischen Zeitalter noch abgewinnen kann. Seine zertrümmerte Version der Revolutionsgroteske „Mysterium Buffo“ von Wladimir Majakowski ist radikal von jedem Agitprop-Ballast befreit, die darin symbolisch ausgefochtenen Klassenkämpfe sind nonchalant aufgelöst. Von den 350 Darstellern, die das Stück bei seiner Petrograder Uraufführung 1918 zu einer Massenrevue werden ließen, bleiben hier gerade einmal neun Mitwirkende in einem kargen Zirkusrund (Bühne: Susanne Münzner) übrig. Ein aufrechtes Häuflein der Resignierten.

Es fängt an, wie es anfangen muss, mit dem Ende nämlich. Während die Sintflut schon sämtliche Kontinente überschwemmt und alles Kulturgewese hinwegzuspülen droht, sichern zwei Eskimos notdürftig die Polkappe, die hier ein Gullydeckel ist. Darunter zappeln bereits die Überreste der Weltbevölkerung, die als stolze Repräsentanten ihrer Nationen die Landesfahnen mit sich herumschleppen. Absurd sehen sie aus, hier am Point Zero. Allein die weltgewandte Dame erkennt die Anpassungsfähigkeit, die in diesen Zeiten gefragt ist, und hortet vierzig Reisepässe. Doch die nutzen wenig: „Baut eine Arche!“ – ohne entsprechenden Fünfjahresplan oder eine teure Beratungsfirma. Nur schnell jetzt. Die Welt geht also unter, und das bunte Grüppchen findet sich in einem ausrangierten UPS-Bus wieder, der kopfüber in der Luft baumelt. Nun werden in Windeseile Despotenrollen und demokratische Abstimmungsprozesse durchprobiert, bis man kurz danach in der Hölle landet.

Doch die Teufelinnen (Susanne Jansen und Artemis Chalkidou), die dem jungen Rotarmisten eigentlich Feuer unter dem Arsch machen sollen, sehen aus wie kostümierte Sekretärinnen in einem niederrheinischen Swingerclub. Wie abgewirtschaftet muss die Apokalypse sein, wenn sie derartig Puscheliges gebiert! Und warum nehmen sich eigentlich alle so wenig Zeit, auf der Bühne, hinter der Bühne und überhaupt?

Majakowski himself hat endlich ein Einsehen, er betritt die Szenerie und greift zur Pistole. Hat er 1930 aus Verzweiflung getan, bietet sich jetzt wieder an.

Doch mit seiner sofortigen Auferstehung hat er nicht gerechnet. Nun muss er tatenlos zusehen, wie die Reisenden, denen er doch den Weg zur strahlenden Welt der Arbeit weisen wollte, in einer Art Wellness-Himmel ihr kümmerliches Dasein fristen. Sie krabbeln herum in Säuglingskleidung und malen mit naivem Eifer Durchhalteparolen auf eine Banderole: „Wir gehen schon nicht unter“. Zumindest so lange nicht, wie der Deus ex Machina in der ersten Reihe sitzt. Als revolutionärer Grußonkel ist Lothar Bisky für diese zerfahrene Premiere ein Glücksfall. Ein „Bewegungsschema“ nannte Majakowski seine heroisch-lachhafte Glücksodyssee und lud künftige Regisseure ein, ihren Inhalt „zeitgemäß, heutig, minutengerecht“ zu machen.

Sebastian Hartmann gelingt dies nur an wenigen Stellen, etwa, wenn Werner Eng im „Land der Trümmer“ über die physikalischen Bedingungen von Erfahrung spekuliert oder Majakowskis Alter Ego (Hagen Oechel) und seine verflossene Liebe Lilja Brik (Cordelia Wege) schließlich im existenzialistischen Weltschmerz versinken. Umgeben von den Kabelresten der Elektrifizierung, suhlen sie sich in ihrem posthistorischen Ennui und wärmen sich am Wrack eines Kühlschranks. Rote Fahnen werden geschwenkt, ohne dass die Internationale ertönt. Das leise Flattern des Stoffes klingt nachgerade angenehm.

JAN ENGELMANN