Reisen gegen Armut?

180 Länder nehmen an der Internationalen Tourismusbörse teil. Für viele Länder ist Tourismus der Zugang zum Weltmarkt. Tourismus als Entwicklungshelfer: NGOs fordern fairen Tourismus

VON CHRISTEL BURGHOFF

„Dieses andere Set, ohne die Wirtschaftsbosse, außerhalb der Expertenzirkel, das war für uns sehr gut“, resümiert Christine Plüss vom Schweizer AK Tourismus und Entwicklung ihre Erfahrung mit dem Weltsozialforum in Bombay. Plüss berichtet von NGOs aus Goa, die sich gegen touristische Großprojekte wehren, von Peruanern, die gegen eine Privatisierung des Machu-Picchu-Tourismus eintreten, von Initiativen gegen den wachsenden All-inclusive-Tourismus. In Bombay sammelten sich NGOs aus aller Welt. Brasilianische Delegierte verschiedener Community-based-Projekte trafen auf Vorsteher indischer Fischerdörfer und tauschten ihr touristisches Know-how. Die Treffen sollen der internationalen Vernetzung dienen. Der Tenor der Absichten: „When you invest, you need a return.“ Die Menschen in den Zielgebieten wollen einen fairen Anteil am großen Tourismusgeschäft.

Daran hapert es – trotz der einzigartigen Erfolgsgeschichte der touristischen Industrie. Tourismus, heute die vielleicht wichtigste Wachstumswirtschaft, ist mehr oder weniger eine Einbahnstraße geblieben. Der Rückfluss touristischer Einnahmen in die Entsenderländer ist beträchtlich. Die Gastgeber, die ihre Ressourcen, eine reiche Natur und die Strände, ihre Kultur, ihr Engagement ins Big Business mit einbrachten, mögen daran geglaubt haben, dass mit den reichen Reisenden auch deren Reichtum ins Land kommt. Doch das täuscht.

Dabei ist die Idee, mit Tourismus der Armut vieler Länder zu begegnen, gar nicht schlecht. Diesem Wirtschaftsfaktor wird ein immenser Beschäftigungseffekt nachgesagt. Und im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion wurden auch neue Prioritäten gesetzt: Gefordert und gefördert wird nun ein umwelt- und sozialverträglicher Tourismus, von dem auch die Betroffenen profitieren sollen. Wer heutzutage ins Ökoprojekt nach Costa Rica reisen will – kein Problem. Abgeschiedene Länder wie Georgien locken mit Nationalparktourismus in Berglandschaften, die an Tibet denken lassen, in China lässt sich gut Fahrrad fahren. Die Bundesgesellschaft GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit), die sich mit öffentlichen Mitteln in regionalen touristischen Einrichtungen engagiert, ermöglichte 48 dieser Projekte eine Präsentation auf dem „Reisepavillon“ in Hannover.

Nicht nur im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe – auch international ist das Eis gebrochen: Die Welttourismusorganisation (WTO-OMT), seit kurzem zu einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen aufgewertet, hat sich die Armutsbekämpfung auf die Fahnen geschrieben. Sie initiierte 2002 ein – wenn auch unter NGOs umstrittenes – internationales Ökotourismusjahr und wirbt weltweit für Nachhaltigkeitsstrategien. Doch neue Schreckensmeldungen machen die Runde: dass etwa indigene Bevölkerungsgruppen für Naturschutzgebiete und Ökotourismus vertrieben werden oder, wie derzeit in den indischen Sunderabans, dass private Investoren mit Megaprojekten in geschützte Mangrovenwälder drängen.

Und überhaupt: Was halten die Großveranstalter von der Armutsbekämpfung durch Tourismus? Die knappe Antwort: In der Regel gar nichts. Armutsbekämpfung komme im Zielkatalog der TUI nicht vor, beschied jüngst W. M. Iwand, der Umweltbeauftragte des Konzerns, interessierte NGOs. Und er klärte auf: „The business of business is business.“ Kein Grund, gegen die internationale Ungleichheit vorzugehen, denn: „Damit leben wir komfortabel.“

Das ist Ökonomie pur, die darauf drängt, in die Zukunft verlängert zu werden, um sich noch prächtiger zu entfalten. Vor allem durch eine internationale Liberalisierung des Dienstleistungsbereiches, zu dem auch der Tourismus zählt. Geht es nach der Politik der Welthandelsorganisation, dann braucht die Welt nur eines, nämlich das Big Business. Dafür müssen Tore und Türen geöffnet werden. Mag derzeit das touristische Wachstum auch stagnieren: Die Fachleute der internationalen Gremien mit ihren Statistiken und Prognosen sehen im Absacken der Wachstumskurve nicht mehr als ein Intermezzo in einem steten Aufwärtstrend. Wirtschaftsflauten, Krankheiten, terroristische Bedrohungen – weltpolitische Verwerfungen führen zwar zu Einbrüchen in vielen Regionen der Welt, begünstigen aber andere.

Neue Märkte kommen ins globale Spiel. Gerade nach Asien, wo jetzt das Weltsozialforum tagte, richten sich neue Begehrlichkeiten. Touristisch gesehen ist der südostasiatisch-pazifische Raum eine einzige große ökonomische Versprechung. Hier verzeichneten die Wachstumsraten vor dem Einbruch den höchsten Zuwachs. Die Touristiker haben vor allem China im Blick – sowohl als Zielgebiet als auch als Entsenderland riesiger Touristenmassen. Von Nachhaltigkeitszielen ist aber nicht viel zu hören. Interessant auch der Umgang mancher Länder mit den neuen Herausforderungen. Thailand etwa, so beobachtete das Tim Team in Bangkok, setzt auf einen Strategiewechsel.

Thailand will sich am Backpacker- und Individualreisemarkt vorbei ein neues, teures und sicheres Image geben. Gab man sich anfangs ignorant gegenüber Terrorbedrohung und Krankheitsgefahren, wird jetzt offensiv in Sicherheitssysteme und geschlossene Luxusanlagen investiert. Jüngster Coup: die „Thailand Elite Card“. Eine Art echt goldener Scheckkarte, die 25.000 Dollar kostet und ihren Besitzern nicht nur Luxusrabatte für touristischen Luxuskonsum garantiert, sondern auch das für Ausländer sonst nicht übliche Recht auf Landerwerb. Ein Fingerzeig in die neue, globale Zukunft?

Die Entwicklungen haben viele NGOs neu mobilisiert. Christine Plüss von Schweizer Arbeitskreis spricht von einem Überdruss der Betroffenen an der „Armutsrhetorik“ der internationalen Gremien. Für die NGOs des Nordens, die sich in Bombay engagiert haben, hat die Durchsetzung eines fairen Handels große Bedeutung. Sie wollen Verbindlichkeiten statt Goodwill. Sie arbeiten an der Vernetzung der Betroffenen und sehen in der Unterstützung bei der Wahrnehmung gewerkschaftlichen Rechte oder auch der Landrechte wirksame Mittel und Hilfestellung zur Selbstbehauptung.

Auch die Bundesregierung hält am Ziel der Armutsbekämpfung fest. Burghard Rauschelbach spricht für die GTZ: „Wenn es nicht die Vorstellung vom Tourismus als einkommensschaffende Maßnahme gäbe, dann hätten wir für unsere Arbeit keine Berechtigung.“

Reisen gegen Armut? Warum nicht. Umweltengagierte Zeitgenossen wird es empören, dafür in den Flieger zu steigen und um die Welt zu düsen. Gerade der Flugtourismus hat sich als Klimakiller herausgestellt. Nicht zuletzt deshalb haben findige Spezialveranstalter, die im Forum Anders Reisen organisiert sind, die Idee vom „klimabewussten Fliegen“ in die Welt gesetzt. Sie wollen ihre Kunden für eine freiwillige Klimaschutzabgabe begeistern, die dann in Projekte in Entwicklungsländer fließen soll. So leicht lässt sich aus der Not eine Tugend machen.