Eigenbrötelei im offenen Haus

Das Haus der Demokratie und Menschenrechte in Prenzlauer Berg gibt Initiativen und Vereinen ein gemeinsamens Dach. Darunter arbeiten sie getrennt. Die Stiftung müsste mehr sein als nur Vermieter, doch damit ist der Vorstand überfordert

von LUCIA JAY

Man muss den Kopf in den Nacken legen, um die Namen auf den vielen Metallplatten an der Wand entziffern zu können. Das Farbsystem, das die Gruppen, Organisationen und NGOs den Etagen im Haus zuordnet, ist gut gemeint, aber schwer zu verstehen. Es sind einfach zu viele. An die 70 Initiativen aus dem Bürgerrechts- und Umweltbereich arbeiten seit drei Jahren im neuen Haus der Demokratie und Menschenrechte am Fuße des Prenzlauer Bergs. Große wie amnesty international beherrschen mehrere Etagen, andere sitzen in Kammern oder haben nur einen Briefkasten.

Die Großen tragen die Kleinen mit: Das ist die Idee des Experiments im Namen der Demokratie. Ein Open House der Engagierten. Aber von einem lebendigen Miteinander ist nicht viel zu spüren. Die Gruppen sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Eine inhaltliche Zusammenarbeit findet kaum statt.

Obwohl die Verwaltung gut läuft, sind die inneren Strukturen noch lange nicht geklärt. Ein Indiz dafür ist auch, dass der Vorstand erst kürzlich gesammelt zurückgetreten ist. Klaus Wolfram war sechs Jahre im Vorstand. Er hat das Haus geprägt wie kein anderer. Viele Hürden musste er überwinden, um die rechtlichen Strukturen des Hauses zu festigen. Nun aber müsse ein Generationswechsel stattfinden, wünscht sich Wolfram für das Projekt, das er über die Jahre mit hochgezogen hat. „Der Kampf um die Existenz ist vorüber. Jetzt muss eine Zusammenarbeit im Haus erreicht werden, die über die Arbeit im gleichen Haus hinausgeht.“

Tobias Baur sitzt als Überbleibsel des dreiköpfigen Vorstands hinterm Schreibtisch. Das Vorstandsbüro, „das Herz des Hauses“, wie Baur es nennt, besetzt der gelernte Verwaltungswissenschaftler und Politologe nun übergangsweise bis zu den Neuwahlen. „Arbeitszeit ist Leistungszeit“, erinnert eine Postkarte, die an der Flügeltür angepinnt ist. Und das passt hier rein. Stiftungsarbeit ist schließlich ehrenamtlich.

„Unser Riesenvorteil ist, dass wir nicht rausgeschmissen werden können, weil uns das Haus schlicht gehört.“ Der Vorstand vertritt die Stiftung, und die Stiftung ist die Eigentümerin des Grundstücks, erklärt der gebürtige Freiburger. Lange Zeit aktiv in der dortigen Hausbesetzer-Szene, war er nun bis vor kurzem Bundesgeschäftsführer der Humanistischen Union und Vorstandsmitglied der Stiftung. „Man muss gehen, wenn es einen neuen Entwicklungsschritt gibt“, räumt er ein. „Ich wurde gekündigt. Es war ein Knochenjob, den ich sowieso loswerden wollte.“

Doch der Abschied fällt ihm sichtlich schwer. Die rechtliche Geschichte des Hauses der Demokratie ist mühsam und verzwickt. Dennoch kommt Baur beim Erzählen nicht einmal ins Stocken. Nachdem die Stiftung ihr Haus in der Friedrichstraße nach etlichem Hin und Her an den Beamtenbund verloren hatte, sah sich der Vorstand nach einer neuen Bleibe um. Das 5.000 Quadratmeter große Haus in der Greifswalder Straße ist doppelt so groß wie das alte, und zu der Handvoll engagierter Kämpfer von einst kommen heute jeden Tag neue dazu. „Die politische Keimzelle von Berlin ist hier“, verkündet Baur nicht ohne Stolz.

„Ich bin eigentlich robust, aber die Sitzungen des Kuratoriums meide ich. Da bekomme ich Magenschmerzen, wie die sich gegenseitig die Köpfe einschlagen“, erzählt Michael Zschisch und blickt nachdenklich aus dem Fenster. Aus dem Büro des „Unabhängigen Instituts für Umweltfragen“ (UfU) im Hinterhaus hat er einen schönen Blick über den Hof bis in den Volkspark Friedrichshain. „Das Haus der Demokratie besitzt ein Grundstück und kann sich eigentlich nur selbst kaputtmachen.“ Und das tut es nach Meinung des Umweltspezialisten zunehmend. Die Gruppen arbeiten viel effektiver seit dem Umzug, aber die Zusammenarbeit leide darunter, so Zschisch. Von der Stiftungs-Arbeit bekomme man nicht viel mit, und die meisten geben sich eben auch zufrieden mit einem schlichten Mieter-Vermieter-Verhältnis, bedauert Zschisch. „Man müsste verhindern, dass die einzelnen Vereine ins Sektiererische abdriften und nur noch vor sich hindümpeln.“ Aber es sieht so aus, als ob hier jeder lieber sein eigener schwacher König ist. Und Könige untereinander vertragen sich selten gut. Das sei nur menschlich, so Zschisch. Ob die unterschiedlichen Mietpreise, der Erfolg der großen Gruppen: Neid und das Gefühl ungerechter Behandlung stünden auf der Tagesordnung.

Zschisch weiß, dass meckern einfach ist. Und dass die meisten viel zu tun haben mit ihrer Arbeit, die zu viel Zeit in Anspruch nimmt und zu wenig abwirft. Ihm selbst geht es auch so. Ein Geschäftsführer wäre für ihn die Lösung. Jemand, der nicht ehrenamtlich neben Job und Familie und allem Verwaltungskram noch Brücken schlagen muss zwischen den oft zerstrittenen Initiativen, sondern ein Ansprechpartner, der die Zeit hat, sich zu kümmern. Auch Klaus Wolfram schätzt diesen Vorschlag: „Das war immer meine Lieblingsidee. Leider konnte ich sie nie umsetzen.“

Die Idee von einem offenen Haus mit offenem Hof, auf dem die Gruppen sich begegnen und ergänzen, sieht in der Realität anders aus: Eigenbrötelei, Neid und Streit um Mieten. Ein Rundbrief, der neuerdings zweimal im Jahr erscheinen wird, ist vielleicht ein erster Schritt, um die Realität mit einem Stück mehr Ideologie zu versehen. Nicht umsonst steht im eigenen Selbstverständnis der (Wunsch-) Satz „Bürgerbewegungen arbeiten basisdemokratisch und dialogorientiert. Das Prinzip ist nicht die Rationalität der Verwertung, sondern die der Verständigung.“