Auch Deutsche können ausgeliefert werden

Der europäische Haftbefehl gilt ab Mai auch in Deutschland. Drohen den Ausgelieferten unfaire Verfahren im Ausland?

Der Begriff könnte präziser sein. Eigentlich ist der europäische Haftbefehl ein europäischer Auslieferungsbefehl. Vermeintliche Straftäter, die sich in einem EU-Staat aufhalten, können künftig leichter in einen anderen EU-Staat überstellt werden, in dem dann ein Strafprozess durchgeführt oder eine bereits verhängte Strafe vollstreckt wird. Am Donnerstagabend beschloss der Bundestag nach langen Verhandlungen das deutsche Umsetzungsgesetz hierzu. Im Mai soll es in Kraft treten.

Bisher waren solche Auslieferungsverfahren aufwändig und langsam, vor allem weil stets geprüft werden musste, ob das Delikt in beiden Staaten strafbar ist. Künftig entfällt diese Prozedur bei 32 Deliktfeldern, von Mord über Terrorismus bis zur Korruption. Manche dieser Deliktbereiche wie „Sabotage“, „Rassismus“ oder „Cyberkriminalität“ sind allerdings etwas unklar konturiert.

Deshalb sieht das deutsche Gesetz nun die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor, wenn es Streit um die Zuordnung einer Tathandlung zu diesen Deliktgruppen gibt. „In 99 Prozent der Fälle wird die Auslieferung unproblematisch sein, aber für das restliche Prozent muss es rechtsstaatliche Sicherungen geben“, betont Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher der Grünen.

Der europäische Haftbefehl hilft einerseits der deutschen Justiz, an Verdächtige zu kommen, die sich im Ausland aufhalten. Andererseits müssen auf Anforderung auch hier lebende Ausländer und Deutsche ausgeliefert werden. Die Auslieferung von Deutschen an andere Staaten wird damit zum ersten Mal ausdrücklich erlaubt. Bis zu einer Grundgesetzänderung im Jahr 2000 waren Deutsche generell vor Auslieferung geschützt. Hier konnte nur die deutsche Justiz stellvertretend einen Prozess durchführen.

Zur Durchführung eines Strafprozesses im Ausland müssen Deutsche allerdings nur ausgeliefert werden, wenn der Betroffene zur Strafverbüßung später wieder nach Deutschland zurückkommen darf. Die Rechtspolitiker von SPD und Grünen haben in den Beratungen nun durchgesetzt, dass diese Regelung auch für hier aufgewachsene Ausländer gilt. Das Innenministerium hatte diese Gleichstellung lange abgelehnt.

Falls im Ausland ein Willkürverfahren droht, gibt es zwei Möglichkeiten, den Automatismus zu stoppen. So kann das zuständige Oberlandesgericht unter Berufung auf europäische Grundrechte gegen die Auslieferung ein Veto einlegen. Außerdem kann die bearbeitende Staatsanwaltschaft ein eigenes Ermittlungsverfahren einleiten und gleich wieder einstellen. Auch dann ist die Auslieferung blockiert.

Bei der Ausgestaltung der Strafverfahren gibt es zwar nach wie vor deutliche Unterschiede in Europa. Allerdings sind alle EU-Staaten an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden, die faire Gerichtsverfahren vorschreibt. Stephen Jacobi von der englischen Organisation „Fair Trials Abroad“ bezweifelt allerdings, dass es überall in Europa ausreichend gute Pflichtverteidiger und Gerichtsübersetzer gibt.

Experten schätzen, dass aus Deutschland vor allem Ausländer ausgeliefert werden, die nicht dauerhaft hier leben. Deutsche werden wohl am häufigsten bei Drogen-, Betrugs- und Geldwäschedelikten mit dem europäischen Haftbefehl in Kontakt kommen. CHRISTIAN RATH