Lektion im Fach Polizeiprügel

Knüppeleinsatz bei Anti-Nazi-Demonstration in Schwäbisch Hall endet mit Anzeigen gegen SchülerInnen. Jugendzentrum sammelt Berichte für eine Sammelklage

FRANKFURT taz ■ Der Lehrer Niko S. ist ein besonnener Mann, ein loyaler Staatsbürger, aufgewachsen in einer Polizistenfamilie. Seit dem 6. März ist er nicht mehr gut auf die Behörden zu sprechen. Während einer Demonstration gegen die Kundgebung der neonazistischen Deutschen Volksgemeinschaft auf dem Marktplatz von Schwäbisch Hall sind seine Schüler und drei seiner eigenen Kinder eingekesselt, verprügelt und fast bis Mitternacht in der Turnhalle des Gefängnisses in Schwäbisch Hall eingesperrt worden. Die 17-jährige S. S., der 15-jährige M. und ihr ein Jahr jüngerer Bruder saßen, wie rund 150 andere, stundenlang im Polizeigewahrsam. Der Jüngste sei „als allerletzter“ um Mitternacht freigekommen. Die Situation sei völlig unerwartet eskaliert. Die Polizei habe nur einmal dazu aufgefordert, den Platz zu räumen und sei dann gleich losgestürmt. Sie berichteten auch von Schlägen, Drohungen und Beschimpfungen im Gefangenenbus.

Gegen die Schülerin Laura (16) wird wegen Landfriedensbruchs ermittelt: „Ich weiß nicht, für was.“ Sie geriet in den Kessel, „ich weiß nicht, wie“. Mit Pferden seien die Polizisten zuerst auf sie zugeritten und hätten sie zurückgedrängt, dann umzingelt und gezielt auf die Köpfe der Jugendlichen eingeschlagen. Sie selbst, sagt sie heute, habe „immerhin nur“ zwei Schläge abbekommen. Andere hätten schwere Prellungen und Platzwunden davongetragen. Niemand habe geholfen. Auch Laura wurde abtransportiert, saß in einem Bus in einer Viererzelle und wusste nicht, wo sie war. Bei der Kripo wurde sie dann erkennungsdienstlich behandelt, musste sich ausziehen: „Sogar die Ohrringe wurden einzeln gezählt.“ Fast drei Stunden dauerte die Prozedur. Gegen 23.30 Uhr wurde sie vor die Tür gesetzt.

Die Kundgebung der Neonazis, zu der auch deren Agitatoren Günter Deckert und Christian Worch geladen waren, richtete sich gegen das autonome Jugendzentrum „Club Alpha“, das „das geistige Klima der Stadt multikulturell vergiftet“. Die Nazi-Veranstaltung war nach einem Verbot durch die Stadt vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim zugelassen worden. Zur Gegendemonstration kamen über 1.500 Menschen, darunter auch der Bürgermeister der Stadt. Auch der, so Worch maliziös im Internet, sei der Räumungsaufforderung nicht nachgekommen und müsse mit einem Ordnungswidrigkeitsverfahren rechnen. Worch beklagte, dass die Polizei auch die eigene Kundgebung auflöste und einige Neonazis arrestierte.

Die Polizeiführung teilte im Anschluss mit, Beamte seien mit Flaschen, Steinen und Knallfröschen beworfen worden. Das sei, so Lehrer Niko S., „selbstredend verwerflich“, aber nur eine Randerscheinung gewesen, die Reaktion der aus dem Land zusammengezogenen Polizisten „unverhältnismäßig“.

Er wandte sich mit einem offenen Brief an den baden-württembergischen Innenminister: „Solche Vorfälle erzeugen nur Staatsverdrossenheit und Polizeifeindlichkeit“. „Junge Staatsbürger“ hätten sich gegen die Gefahr, „die unserem Gemeinwesen von Neonazis droht, engagiert und dabei Schaden genommen.“ Das nächste Mal will er selber mitdemonstrieren. Einige seiner Schüler haben für’s Leben gelernt. Ihr Jugendzentrum bereitet eine Sammelklage gegen die Polizisten vor. Und in ihren Berichten heißen die Polizisten nun nur noch „Bullen“.

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