Ein bisschen Frieden und viel Geld

Trotz aller Streitereien teilen Indien und Pakistan eine Leidenschaft: Kricket. Kann der Sport zwischen ihnen vermitteln? Eine kritische Betrachtung

Nirgendwo sonst ist das zerebrale Spiel so populär wie hierEine Eingreiftruppe steht bereit, Helikopter werden das Stadion überfliegen

AUS KARATSCHI BERNARD IMHASLY

Sirenen, quietschende Reifen, Blaulicht. In der Gewaltmetropole Karatschi sind dies Alltagsgeräusche. Doch am vergangenen Samstag Waren ausnahmsweise mal keine Anschläge auf Politiker Anlass für den Polizeieinsatz, sondern die erste Krickettournee Indiens durch Pakistan seit der Saison 89/90. Am Stadion war es zu Gewaltausbrüchen gekommen. Der Grund: Die Vorverkaufsstelle hatte nicht rechtzeitig geöffnet.

Die Szene wiederholte sich am nächsten Tag. Jetzt waren die Schalter besetzt, doch 15.000 Menschen überforderten die Kasse für die billigsten 100-Rupien-Tickets (zwei Tageslöhne). Wieder flogen Blumentöpfe durch die Luft, Fenster wurden eingeschlagen, die Polizei setzte Tränengas ein. Eine Gruppe von Frauen und Kindern drang ins Stadion ein und besetzte den heiligen Kricketrasen für den Hungerstreik.

„Das ist ein Krieg. Kein Spiel“, hatte der Taxifahrer in Lahore gesagt. Die Hafenstadt Karatschi ist heute die erste Station von einer Pakistantour, mit drei viertägigen „Test Matches“ und fünf „One Dayers“. 15 Jahre lang herrschte die Eiszeit eines latenten Kriegszustands, in den sich die beiden Länder in ihrem ewigen Streit um Kaschmir gesteigert hatten. Dabei kamen auch die Sportkontakte unter die Räder, allen voran das Kricket. Es ist in beiden Ländern der Nationalsport, und beide zählen zu den weltbesten Nationen. Nirgendwo sonst in der Welt ist das zerebrale Spiel flanellierter Gentlemen so sehr in Fleisch und Blut selbst armer Menschen eingegangen wie auf dem Subkontinent.

Wenn es zwischendrin im Rahmen internationaler Turniere zu indisch-pakistanischen Paarungen kam, wurden sie zu Projektionsflächen nationalistischer und religionspolitischer Passionen. Der Vorwurf, indische Muslime würden bei Spielen gegen Pakistan für ihre Glaubensbrüder statt für ihre Heimat zittern, gehört zum Standardrepertoire der Hindu-Fanatiker. Der Politiker Bal Thackeray ließ 1991 in Bombay den „Pitch“ – die sakrosankten 15 Meter, auf denen die Verteidiger der Pflöcke ihre „Runs“ absolvieren – mit Benzin übergießen, um ein Länderspiel zu verhindern. Allerdings gibt es auch Gegenbeispiele. Ende 1998 absolvierte Pakistan zwei 5-tägige Test-Matchs in Indien. Als es in Madras gegen ein mittelmäßiges indisches Team gewann, gab es Standing Ovations. In Delhi wurden die Spieler gefeiert und zum Tee beim Staatspräsidenten eingeladen. Der pakistanische Premierminister, ein Kricketfan, war so beeindruckt, dass er seinen Amtskollegen Vajpayee zur Eröffnung der Busroute nach Lahore einlud, und dies führte zum ersten bilateralen Treffen nach den Atomtests beider Länder.

Diesmal war es der indische Premier, der scharfsichtig den politischen Nutzen erkannte. Beim Gipfeltreffen mit Präsident Musharraf im Januar gaben die beiden grünes Licht für die bereits zweimal verschobene Krickettour. Das brauchte Mut, denn nur Tage zuvor war Musharraf zweimal einem Attentat knapp entgangen. „Ein Terroranschlag auf die indischen Spieler würde das Gegenteil der erhofften Annäherung bewirken – das Risiko von Gewaltausbrüchen gegen Muslime in Indien und eine neue Eskalation an den Grenzen“, meinte ein Teilnehmer einer indischen Fernsehsendung zum Thema.

„Vergessen wir den Mai 2002 nicht“, warnte auch der Kricketfan Shakir Hussain in Karatschi. „Damals explodierte vor dem Hotel des neuseeländischen Teams eine Bombe, die vierzehn Menschen das Leben kostete.“ Das Turnier wurde abgebrochen, und weitere vier Länderspiele (mit den West Indies, Sri Lanka, Australien und Südafrika) wurden in den letzten zwei Jahren nach Sharjah umgeleitet.

Die Sicherheitsmaßnahmen für das indische Team gleichen daher, wie Shahryar Khan, der Präsident des pakistanischen Kricket Board, erklärt, „jenen, die normalerweise nur ein Staatsbesuch erhält“. Für jedes Match in den fünf Städten werden 2.500 Polizisten eingesetzt. Die Spieler beider Teams werden in den nächsten fünf Wochen in Quarantäne leben und nur ihre hermetisch abgeriegelten Hotels und die Stadien zu Gesicht bekommen.

Der Weg dazwischen gleicht dem Laufgitter eines Zirkustigers zwischen Gehege und Zelt, mit Tarnautos und Polizei-Kavalkaden. Die Stadien werden Tage zuvor nach Sprengstoff durchsucht, und die Zuschauer müssen, Stunden vor Spielbeginn, ihr Transportmittel einen Kilometer vor dem Stadion verlassen und dann drei Kontrollringe passieren, bevor sie ihre Sitze einnehmen können. Eine Eingreiftruppe steht bereit, und Helikopter werden den Luftraum über dem Stadion überfliegen.

Das alles kann die pakistanischen Fans nicht abschrecken. Und selbst in Indien drängen sich seit einer Woche hunderte von Leuten vor der pakistanischen Botschaft, um eines der 8.000 extra zugeteilten Visa zu ergattern. „Kricket for Peace“ stand auf einem Banner, das zwei indische Fans letzte Woche vor der Botschaft entrollten.

Es ist aber auch „Kricket for Money“, das die beiden Sportverbände zu enthusiastischen Friedensaposteln gemacht hat. Der pakistanische Verband erwartet einen Nettogewinn von 20 Millionen Dollar, die Fernsehkanäle verkaufen ihre 30-Sekunden-Slots für 15.000 Dollar, und die 7-Meter-Werbebanden am Spielfeldrand können je nach Austragungsort bis zu 350.000 Dollar kosten. Am meisten freuen sich die illegalen Buchmacher. Dank Mobiltelefonie und Internet werden sie vorraussichtlich Wettgebote in zweistelliger Millionenhöhe entgegennehmen.

Selbst die Mafia von Dawood Ibrahim aus dem Schmugglerdreieck Bombay – Dubai – Karatschi, der nachgesagt wird, dass sie auch saudische Gelder an al-Qaida und Taliban verschoben hat, hat angekündigt, ihre dubiose Tätigkeit für die nächsten zwei Monate auszusetzen. „Ist das nicht schön?“, fragt der Sportfan Shakir Hussain vor dem Nationalstadion in Karatschi ironisch. „Kricket macht selbst aus Terroristen Apostel des Friedens“. Nicht aus allen.