„Es ging gegen Madrid, das Böse an sich“

Das frühere ETA-Mitglied Eduardo Uriarte über das Potenzial der ETA und mögliche Kontakte zu al-Qaida

taz: Erst waren alle sicher, dass die baskische Terrororganisation ETA hinter der Anschlagserie von Madrid steckt. Jetzt gewinnen auch andere Möglichkeiten an Wahrscheinlichkeit. Was hat viele so sicher gemacht, dass es die ETA war?

Eduardo Uriarte: Die Art des Anschlags passt zur ETA. Vor zwei Wochen stoppte die Polizei einen Lieferwagen mit über einer halben Tonne Sprengstoff, der auf dem Weg nach Madrid war und genau in der Gegend explodieren sollte, durch die auch die Zuglinie führt, die jetzt Ziel der Anschläge war. Und an Weihnachten fand die Polizei gerade noch rechtzeitig eine Bombe, die im Zug von San Sebastián nach Madrid bei der Einfahrt in den Bahnhof explodieren sollte. Außerdem wurden bisher noch keine Selbstmordattentäter gefunden, was für al-Qaida typisch wäre. Die Anschläge sind besser vorbereitet als die meisten Al-Qaida-Attentate, die oft sehr schnell organisierte Aktionen sind.

Arnaldo Otegi, Sprecher der verbotenen ETA-nahen Partei HB, behauptet, die Anschläge seien untypisch für die ETA. Die würde nie wahllos gegen Zivilisten vorgehen und immer vor den Bomben warnen.

Das stimmt nicht. Schon 1974 legte die ETA eine Bombe in einer Cafeteria in Madrid, Anfang der 80er eine weitere Bombe dieser Art in der Hauptstadt. Und selbst in den Bahnhöfen von Atocha und Chamartin gingen bereits einmal Bomben hoch, auch wenn diese kleiner waren als jetzt.

Das heißt, die ETA ist zu allem in der Lage?

Davon gehen alle aus, selbst der baskische Ministerpräsident. Auch er beschuldigte sofort die ETA. Bei ihr handelt es sich um eine Organisation, die zuerst gegen Vertreter des Systems, vor allem Polizisten und Armeeangehörige, vorging, um dann Anschläge auf Politiker zu verüben und zuletzt auf Menschen, die sich gegen die ETA stellen, wie zum Beispiel Journalisten. Und dazwischen gab es immer wieder Anschläge, bei denen wahllos Menschen getroffen werden. Manchmal rufen sie zuvor an, manchmal nicht.

Otegi brauchte sechs Stunden, bis er die Urheberschaft der ETA dementierte.

Ich wäre vorsichtig mit diesen Erklärungen, in denen Otegi die Schuld al-Qaida zuschiebt. Es gibt auch eine dritte Möglichkeit. Es könnten beide Gruppen zusammen gewesen sein. Arabische Gruppen haben es leichter als die stark geschwächte ETA, in Madrid eine feste Infrastruktur aufzubauen. Die ETA hat immer breiteste internationale Kontakte unterhalten. Schließlich bewegen sie sich alle auf dem gleichen Schwarzmarkt für Waffen.

ETA und al-Qaida haben doch ideologisch nichts gemein.

Dennoch lassen sich Kontakte nicht ausschließen. Wer hätte vor 20 Jahren daran gedacht, dass einmal Franzosen, Belgier und Deutsche bei der ETA mitmachen? Die ETA und ihr Umfeld sind vor allem in den großen Städten aktiv. Sie bewegen sich dort im linksradikalen Kreisen. Kontakte zu radikalisierten Immigranten sind leicht vorstellbar. Sie haben sich so weit von den Werten unserer Gesellschaft entfernt und akzeptieren dermaßen blind jede Form von Gewalt, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Leute die Anschläge von Madrid selbst dann feiert, wenn sich herausstellen sollte, dass es al-Qaida war. Schließlich ging es gegen Madrid, das Böse an sich.

INTERVIEW: REINER WANDLER