GENUA-OPFER: POLIZEI VON DER ÖFFENTLICHKEIT BLOSSGESTELLT
: Ermunterung für den Protest in Vevey

Schlage einen, um hundert zu erziehen – die italienische Polizeiführung mag sich bei Mao kundig gemacht haben, als sie vor zwei Jahren ihre Einsätze beim G-8-Gipfel von Genua plante. Ungeheuerlich ist das Bild, das die Verfügung nachzeichnet, mit der die Justiz jetzt das Verfahren gegen die in einer Schule zusammengeschlagenen Globalisierungskritiker eingestellt hat: Da wurden Leuten die Zähne ausgeschlagen und die Knochen gebrochen, die das einzige Delikt begangen hatten, zum Demonstrieren nach Genua gereist zu sein.

Der Polizeieinsatz damals zielte darauf ab, die breite Protestbewegung zu kriminalisieren und zu spalten – nach dem Motto, dass die Ordnungshüter doch wohl gute Gründe gehabt haben, als sie so brutal hinlangten. Dass dies nicht funktioniert hat, liegt auch an Italiens Justiz. Sie zeigte und zeigt sich wenig geneigt, den Einsatzprotokollen der Polizei zu glauben. Und weiterhin ermitteln Staatsanwälte, um die Misshandlungen von Demonstranten auf den Straßen von Genua, im Polizeigefängnis und beim Sturm auf die Schule zu klären. Gut möglich, dass demnächst nicht nur ein paar sadistische Beamte, sondern auch wichtige Polizeichefs des Landes auf der Anklagebank sitzen.

Zusammengebrochen ist die Polizeistrategie noch aus einem zweiten Grund: Die Sicherheitskräfte hatten ihre Rechnung ohne die Öffentlichkeit gemacht. Egal ob etablierte oder alternative Medien – sie lieferten die Beweise, die die Polizei-Märchen auffliegen ließen. Legendär ist das Video von den Polizeichefs, die sich im Hof der Scuola Diaz die Tüte mit den Molotowcocktails rumreichten, die sie anschließend im Haus gefunden haben wollten. Tausende Journalisten, zehntausende Aktivisten der Protestbewegung haben jeden Moment der Ereignisse in Genua mit Fotoapparaten und Handycams aus jedem erdenklichen Winkel dokumentiert. Sie werden das Gleiche beim nächsten G-8-Gipfel in Vevey tun. Das ist bitter für die Polizei, nicht nur in Italien: Die Zeiten, in denen das Wort der Ordnungshüter automatisch schwerer wog als die Aussagen der von ihnen malträtierten Demonstranten, sind vorbei. MICHAEL BRAUN