Nach vorne. Wie immer

Der taz-Kongress: Unter dem Motto „Heute. Morgen.“ diskutiert die taz am 16. und 17. April in Berlin über Entwicklungen der Zukunft – in über 20 Veranstaltungen

VON BERND PICKERT

Stärker als jedes andere Medium hat die taz immer versucht, LeserInnen und MacherInnen miteinander ins Gespräch zu bringen. Am Anfang der taz-Geschichte war das gar nicht zu unterscheiden: Die Menschen, die auf dem Tunix-Kongress in Berlin vor gut einem Vierteljahrhundert die Gründung einer linken Tageszeitung ins Auge fassten, waren beides: Leute, die eine solche Zeitung lesen; Leute, die sie machen wollten. Die Form des Kongresses, einer Ladung Debatte und Gedankenaustausch also, hat sich bewährt – das haben wir 2001 gesehen, als wir in einer Mammutveranstaltung die einfache, aber schwer zu beantwortende Frage stellten: Wie wollen wir leben?

Zum 25. Geburtstag der taz könnten wir in der Vergangenheit schwelgen, uns an selige Brokdorf- und Gorlebenzeiten erinnern und erneut debattieren, ob es seinerzeit richtig war, ein Spendenkonto für die Bewaffnung der salvadorianischen Guerilla einzurichten. Oder wir könnten jammern: „Was wir wollten – was wir wurden …“ Weil aber die Linke bitte schön nicht nur eine Vergangenheit hat, wollen wir uns am 16. und 17. April mit der Zukunft beschäftigen, das aktuelle Tagesgeschäft beiseite lassen und aus der Flut von Informationen versuchen größere Entwicklungstendenzen herauszufinden: „Heute. Morgen.“ lautet das Motto der rund 20 Diskussionsveranstaltungen in den Berliner „Hebbel am Ufer“-Theatern.

In einer Zeit, da ein Chefökonom offenbar die Quintessenz des politischen Denkens des „bürgerlichen Lagers“ verkörpert und sich anschickt, Bundespräsident zu werden, wollen wir sehen, ob es nicht noch Möglichkeiten jenseits der Sachzwänge der Finanzierbarkeit und der Willfährigkeit gegenüber global agierenden Unternehmen gibt, um Zukunft zu denken. Wir wollen das nicht in einer gemütlichen Nische tun, sondern stellen in den Veranstaltungen auch viele Menschen gegenüber, die heute gestalten, entscheiden, Gedanken prägen.

Jede Vorstellung von der Zukunft entpuppt sich spätestens im Rückblick vor allem als Reflexion der Gegenwart. Davon können Zukunftsforscher wie Klaus Burmeister genauso Zeugnis ablegen wie Vordenker der Alternativbewegung wie Ernest Callenbach, der 1974 mit „Ökotopia“ einen Schlüsselroman vorlegte, in dem er die damaligen Vorstellungen eines selbstbestimmten Lebens im Einklang mit der Umwelt bündelte und ins Jahr 1999 projektierte. Es kam anders.

Die Vorstellungen von einst sind nicht tot – im Umweltbereich etwa ist vermutlich in den vergangenen 20 Jahren mehr geschehen, als viele zu träumen gewagt hätten. Rosige Zukunft? Doch die Instrumente der politischen Gestaltung scheinen zu entgleiten, die Ökonomie hat das Primat über die Politik gewonnen, der Staat zieht sich immer mehr aus seiner sozialen Verantwortung zurück, und immer mehr Medien finden sich in der Hand großer Konzerne, die womöglich direkt mit den politisch Herrschenden liiert sind. Düstere Zukunft?

Wir wollen eine Gelegenheit schaffen, von den Aufgeregtheiten der politischen Tageskonjunktur ein wenig Abstand zu gewinnen. Wie entwickelt sich der Nahe und Mittlere Osten über die Frage des Wahltermins im Irak und den Mauerbau in Palästina hinaus? Gibt es journalistische Gegenstrategien zu Medienkonzentration und politischer Einflussnahme? Hat die parlamentarische Demokratie angesichts immer größerer Einheiten wie der EU und der Dominanz der Ökonomie noch eine Chance? Kann der Staat noch die Verteilungsaufgaben der alten Sozialmodelle übernehmen?

Dass wir ganz zum Schluss uns selbst thematisieren, sei uns verziehen. Mal ehrlich: Angetreten sind wir einst mit der Vorstellung, es gebe ein „wir“ und ein „die“ und dazwischen nichts als Barrikaden. Die taz wollte nicht mitspielen im Medienzirkus – heute gehört sie dazu. Ein bisschen Vergangenheit also sei erlaubt. Mit dem Blick nach vorn. Wie immer.