Lexikon der Globalisierung
: Was bedeutet denn eigentlich der Begriff „Standort“?

Ursprünglich wurde das Wort „Standort“ für eine Garnison benutzt. Seine Herkunft verweist auf einen militärischen Hintergrund, der in dem politischen Kampfbegriff „Standort D“ nachwirkt. In der heutigen Standortdebatte prallen unversöhnliche Positionen aufeinander: Die Kapitalseite sieht den eigenen Wirtschaftsstandort schwächeln, um Liberalisierungs-, Deregulierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen abzuleiten. Ihre Kritiker verweisen auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und riesige Exportüberschüsse der Bundesrepublik. 2003 waren das 130 Milliarden Euro.

Die „deutsche Standortschwäche“ resultiert nach Auffassung der Unternehmerverbände aus zu hohen (gesetzlichen) Lohnnebenkosten. Sie verkennen, dass diese durch eine gestiegene Arbeitsproduktivität mehr als kompensiert werden. Mittels der Standortlogik werden Massenentlassungen und Rationalisierungsmaßnahmen ebenso legitimiert wie politische Entscheidungen, die der Profitsteigerung dienen. Es wird suggeriert, andere Wirtschaftsstandorte seien in der Lage, bei (annähernd) gleicher Qualität billiger zu produzieren als die deutsche Wirtschaft. Das einheimische Kapital sei aufgrund der Standortvorteile anderer Länder gezwungen, dort zu investieren und Arbeitsplätze hier abzubauen.

Was als „Modernisierung“ gilt, ist in Wahrheit eine Rücknahme demokratischer und sozialer Reformen. Fungieren die Gesellschaften bloß noch als „Wirtschaftsstandorte“, deren Wettbewerbsfähigkeit über das Wohlstandsniveau ihrer Bürger/innen entscheidet, kann das Soziale keine (große) Rolle mehr spielen. Nicht der Mensch, sondern der Markt steht im Mittelpunkt der neoliberalen Standortlogik.

Betrachtet man die Bundesrepublik Deutschland primär als „Wirtschaftsstandort“, stehen ökonomische Kennziffern im Vordergrund, während soziale und kulturelle Gegebenheiten höchstens als „weiche Standortfaktoren“ Berücksichtigung finden. Standortvorteile und -nachteile werden aus der beschränkten, auf die Profitmaximierung im Unternehmerinteresse bezogenen Perspektive des Kapitals bestimmt – nicht aus der Interessenlage einer Mehrheit der Bevölkerung, die abhängig beschäftigt oder arbeitslos ist.

CHRISTOPH BUTTERWEGGE

Das Lexikon der Globalisierung entsteht in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat von Attac und erscheint immer montags. Nächste Woche: Innovation