Blickt noch jemand durch?

Unwiderstehliche Ironie, wo kritische Satire versagt: Der israelische Regisseur Abi Mograbi stellt mit „August“ eine hintersinnige Mischung aus Dokumentation, Tagebuch und höherem Blödsinn im Metropolis vor

von URS RICHTER

Wenn‘s nicht so schauerlich wäre, man wollte herzlich drüber lachen: Durch einen wohlhabenden Stadtteil von Tel Aviv zieht eine kleine Gruppe radikaler jüdischer Siedler. Verkleidet in arabischem Nachthemden-Look und eingemummelt in Palästinensertücher, soll ihr Aufzug den israelischen Mitbürgern vor Augen führen, welche Auswirkungen Zugeständnisse an die arabischen Nachbarn auf das alltägliche Straßenbild und damit das „subjektive Sicherheitsempfinden“ hätten. Umstehende Passanten reagieren kurz verwirrt und dann nachhaltig zornig. Wobei nicht ganz klar wird, ob ihr Zorn sich auf die Narrheit der Demonstranten richtet oder auf die Vorstellung, die Shoppingtour irgendwann zwischen herumlungernden Araberbengeln absolvieren zu müssen. Kaum jemand im Nahen Osten, so scheint‘s, blickt noch richtig durch in der Feindbildgemengelage. Grundsätzliche Gereiztheit liegt über der Gegend.

Mit ihr wird der israelische Filmemacher Avi Mograbi gleich kübelweise überschüttet, wenn er als Ein-Mann-Dokumentarfilmteam einen Sommermonat lang alle möglichen Konfliktsituationen in seinem Land protokolliert. Um ihre Rente betrogene Kibbuzarbeiter pflaumen ihn an während einer Protestaktion gegen Politiker. Polizisten wollen seine Kamera konfiszieren, weil er Schaulustige filmt, die der Verhaftung zweier palästinensischer Steinewerfer zugucken. Ihm selbst fliegen Steine um die Ohren, von einem Rotzlöffel jenseits einer gerade errichteten Siedlungsgrenze geworfen. Ob in einem Wartezimmer voll nörgeliger Patienten, ob bei einem Zank um die Parklücke: Nirgendwo wird dem Regisseur die Beteuerung abgenommen, er sei freischaffender Filmemacher und aus eigenem Interesse tätig. „Für welchen Sender arbeiten Sie? Wozu brauchen Sie das Material?“, lauten überall die misstrauischen Fragen.

Mograbis Antwort ist schelmisch. Einmal behauptet er, den Monat August zu hassen, „weil aus ihm nichts kommt und man nur will, dass er vorbeigeht“. Die Streitereien dienen als spontaner Beleg. Ein andermal folgt Mograbi der Aufforderung seiner Frau, endlich etwas zu filmen, was das Publikum interessiert. Gesagt, getan. Aber: Diese Gattin wird von Mograbi selbst gespielt, mit rosa Handtuchwickel um den Kopf und in rührend schlichter Split-Screen Auflösung. Wieder ein andermal ist der Film, den wir sehen, offenbar nur Abfallprodukt eines ganz anderen Projekts. Ein hibbeliger Produzent – auch ihn spielt Mograbi in Shorts und Baseballkappe selbst – möchte das Leben der Witwe Goldstein verfilmen, deren Mann ein grauenhaftes Attentat an muslimischen Gläubigen beging. Mograbi als Regisseur des Spielfilms bittet immer neue Schauspielerinnen, eine hübscher als die andere, beim Casting den Text der originalen Gerichtsprotokolle nachzusprechen und mag sich für keine entscheiden.

Mit unwiderstehlicher Ironie untergräbt Mograbi hier auch formal die Position auktorialen Erzählens und damit die eigene des souveränen Chronisten. Das ist wohl die einzige verbleibende Strategie angesichts einer Realität, in der sämtliche Typologien, Gesten und Ansichten längst zu Spielfiguren in einem ideologisch verworrenen Propagandawettstreit um gut und böse geworden sind. Von welcher Warte aus sollte etwa kritische Satire noch funktionieren, wenn Benjamin „Bibi“ Netanjahu sich auf Likud-Veranstaltungen bereits freiwillig zum Politclown macht? Welche Travestie könnte dem Fußballstadionjubel orthodoxer Juden, der per Helikopter einschwebenden Thorarolle und dem popstarmäßig angeleuchteten Rabbiner noch eins draufsetzen?

August bleibt daher eine hintersinnige Promenadenmischung aus Doku, filmischem Tagebuch und höherem Blödsinn. An Nanni Morettis ebenfalls mit einem Monatsnamen betitelten Film Aprile erinnert Mograbis Vorgehen. Wie Moretti seinen Lieblingsfeind Berlusconi nie direkt anpisst, sondern lediglich registriert, durch welch schizophrenes Verhalten die italienische Linke auf dessen Übermacht reagiert, so kommt auch der politische Impuls von Mograbis Film über Umwege zum Vorschein. Ganz zum Schluss zeigt er uns stumme TV-Bilder von Ariel Scharon. Der guckt, wie er immer guckt, mahlt mit den Kiefern und muss gar nichts mehr sagen, wir haben verstanden. Haben wir?

Sonnabend, 19 Uhr, Metropolis, in Anwesenheit des Regisseurs