Erschütterungen des Älterwerdens

Fragen nach Anforderungen an die zweite Lebenshälfte und nach dem Sinn des eigenen Tuns, wenn gesellschaftliche Koordinaten nicht mehr stimmen: Monika Maron liest im Literaturhaus aus ihrem neuen Roman „Endmoränen“

„Es kommt darauf an, ob ich das Ende oder den Anfang einer Geschichte erzähle, sagte ich. Sie fangen alle als Glücksgeschichten an und enden früher oder später als Unglücksgeschichten.“ Und wie ist die eigene Geschichte zu erzählen? Johanna, Monika Marons Ich-Erzählerin in Endmoränen, aus dem die Autorin jetzt im Literaturhaus liest, verbringt jeden Sommer mit ihrem Mann im gemeinsamen Haus in Basekow, einem Dorf in Brandenburg. Dieses Jahr wird sie den Herbst über bleiben, um an einer Biographie zu arbeiten.

Was sich jedoch abseits des Berliner Alltags Raum nimmt, ist eine existenzielle Verunsicherung, die Zweifel auch an der Vergangenheit aufwirft und den Blick auf die Zukunft verstellt. Eine Vergangenheit, die sich zum größten Teil in der DDR abspielte, eine Zukunft, die im Alter von Mitte fünfzig als eine nicht recht zu begreifende „Restzeit “ fast gefürchtet wird. Das von Johanna diffus erhoffte „Wunder“, man möge frei sprechen können, ist 1989 eingetreten – doch ohne die vertrauten Koordinaten des Kampfes geht ihr die Orientierung verloren. Ihre Begabung, verschlüsselte Botschaften an der Zensur vorbeizuschreiben, hat ihren Sinn verloren.

Aber es sind die Fragen nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, die Johanna umtreiben. Mithin auch die nach Möglichkeiten und Illusionen von Glück oder Liebe. Wie lange sind Anfänge im Leben möglich? Und was bedeutet diese Frage insbesondere für jene, die sich in der ersten Hälfte ihres Lebens innerhalb einer ganz anders gefügten gesellschaftlichen Ordnung eingerichtet hatten?

Maron, die bis 1988 in der ehemaligen DDR lebte, erzählt sehr feinfühlig und mit selbstironischem Humor von den Erschütterungen, die das Älterwerden freisetzt. Der Blick, den sie ihre Erzählerin auf sich selbst werfen lässt, ist unerbittlich-illusionslos und sehnsüchtig. Deren gelegentliche Versuche, im Leben anderer klare Linien zu entdecken, scheitern: Auch die erfolgreiche Künstlerin Karoline hat eine nächtliche „weinende Doppelgängerin“, und die Ordnung der Nachbarin zerbirst in einem furios-tragischen Spektakel.

Die eigene Geschichte – eine Unglücks- oder eine Glücksgeschichte? Der Anfang ist nicht zu verbürgen, weil die Erinnerung trügt. Das Ende noch längst nicht erreicht. Die Frage wahrscheinlich falsch gestellt. Johanna bricht auf nach Berlin, belebt durch eine erotische Begegnung, die ihr den schon abgelegten Körper wieder vertraut werden ließ. Im Schlepptau einen am Straßenrand aufgelesenen Hund – sichtbares Zeichen eines „wunderlichen Anfangs“.

Carola Ebeling

Monika Maron: Endmoränen, S. Fischer, 253 S., 19,90 Euro Lesung: Mo, 19.5., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38