„Dies ist eine wahre Geschichte!“

Auf Augenhöhe mit Straßenkindern in Bombay, in der Tristesse an der Route 66, zu Gast bei einem Mythos der chinesischen Medizin: Junge Filmemacherinnen stellen im Metropolis ihre ethnologischen Dokumentarfilme vor

Die Kamera immer genau so hoch halten, wie die jugendlichen Protagonisten groß sind

von KATRIN AUE

Jeden Morgen stellt der chinesische Arzt Ho Shi Xiu als Erstes seine Referenzen vor die Tür, selbst wenn es regnet. Großkopierte Zeitungsbilder zeigen den weißhaarigen alten Mann mit Spitzbart, ganze Artikel in Magazinen sind ihm gewidmet: alles Lobeshymnen auf die Authentizität seiner medizinischen Arbeit, wie Dr. Ho nicht müde wird zu betonen. Seit der Arzt einen eigenen Eintrag im Loneley Planet über China hat, reisen jährlich mehrere hundert westliche Touristen in den südchinesischen Ort Baisha.

Dass die Hamburger Filmemacherin Julia Berg kam, um über ihn eine Dokumentation zu drehen, hat Dr. Ho folgerichtig ganz und gar nicht überrascht. Schließlich weiß er, dass er einiges von dem verkörpert, was im Westen als „echtes China“ gilt. Doch Julia Berg wollte den Mythos vom weisen Kräuterdoktor und Vorzeige-Chinesen hinterfragen. Das Ergebnis ist eine 30-minütige Abschlussarbeit für den Master-Kurs im ethnolgischen Dokumentarfilm an der Universität Manchester. The Most Admired Man wird zusammen mit zwei anderen Absolventen-Filmen des gleichen Jahrgangs am Sonntag im Metropolis gezeigt.

Die drei Filme ähneln sich im ethnographischen Ansatz, den Beobachteten möglichst nahe zu sein. Auf Augenhöhe mit den Gefilmten: Technisch besonders wörtlich nimmt diesen Anspruch die Londonerin Rachel Webster, die in Ravi and Bhajay ihre Kamera immer gerade so hoch hält, wie die beiden gefilmten indischen Straßenjungen groß sind. Sie begleitet Ravi und Bhajay im Alltag. Die beiden ziehen durch die Straßen, trinken Tee, basteln einen kleinen Spielzeugtempel.

Auffallend wenig thematisiert werden existentielle Not oder Gewalt, also Aspekte des Lebens von Obdachlosen, die in Filmen hierzu üblicherweise zentral sind. Das wirkt verklärend, soll aber nach Aussagen der Regisseurin genau das Gegenteil sein, nämlich eine Annäherung an eine andere Wahrheit: Webster will erreichen, dass die Straßenjungen einfach als Kinder wahrgenommen werden, die sich – aus ihrer Sicht – von anderen Kindern gar nicht so sehr unterscheiden.

Rikke Petersens Beitrag gleicht am ehesten der klassischen ethnologischen Dokumentation: Die Kopenhagenerin zeichnet ein vielschichtiges Porträt des Ortes Santa Rosa in New Mexico – dem „Herzen Amerikas“, wie es in der Radiowerbung des örtlichen Tourismusverbandes heißt. Prägend ist dort die Route 66, einst pulsierende Ader im Südwesten, die längst nicht mehr zur gewünschten Belebung der Stadt führt. Stattdessen sind die Höhepunkte im Kleinstadtleben Ereignisse wie die Landwirtschaftsausstellung, auf der niemand mit der Wimper zuckt, als eine Frau scheußlich schräg die Nationalhymne intoniert. Abends trifft man sich bei der Show des Elvis-Imitators, und in jedem Blumentopf steckt eine US-Flagge.

Petersen gelingt es, einen Eindruck von Santa Rosa zu vermitteln, ungefähr so: Irgendwie skurril das alles – bei aller Tristesse. Schade nur, dass es bei dem bleibt, was der Titel suggeriert: A Stopover in the Heart of America – eine Stippvisite im Herzen Amerikas, deren Ausschnitte manchmal beliebig, gar konstruiert wirken.

Julia Berg hat sich mit The Most Admired Man im Gegensatz zu ihren beiden Kolleginnen eines schweren Erbes angenommen: Ihr Film ist ein ausdrücklicher Versuch, die Diskussion der letzten Jahrzehnte um die Rolle der Ethnologen umzusetzen. Dass Repräsentation im Grunde unmöglich ist und die Feldforschungs- und Filmsituation immer autoritär, akzeptiert sie als unvermeidlich.

Berg benutzt den Dialog, um diesem Dilemma zu begegnen. Sie ist als Fragende und als teilnehmendes Individuum in großen Teilen des Films präsent. Dieser Ansatz ist nicht revolutionär, aber hier überzeugend. Und Spaß macht der Film sowieso. Denn Dr. Ho ist nicht etwa nur charmant, weise und ausgeglichen, wie eine französische Touristin nach ihrer Behandlungssitzung urteilt: Er präsentiert sich auch als nörgeliger und tyrannischer Patriarch, um gleich darauf immer wieder zu befehlen, dem eindrucksvollen Mythos um seine Person zu glauben: This is a true story, you know! Dies ist eine wahre Geschichte.

18.5. 19 Uhr, Vorstellung der drei dokumentarischen Kurzfilme (The Most Admired Man, Stopover in the Heart of America`, Ravi and Bhajay) in Anwesenheit der Regisseurinnen, alle Filme OF mit engl. UT