Offenheit bleibt kontrolliert

Das von Chinas Führung gegebene Versprechen, über SARS wahrheitsgetreu zu informieren, stößt auf großes Misstrauen. Eine offene Debatte der politischen Folgen von SARS ist nicht möglich

aus Peking JUTTA LIETSCH

„Na? Zufrieden mit den Antworten?“, fragt Herr Wang. Im Radio hat er die Pressekonferenz verfolgt, in der Pekinger Funktionäre über den Kampf gegen die Lungenkrankheit SARS berichteten. Das Fazit Wangs, der in einer Autofirma arbeitet: „Die können doch gar nicht die Wahrheit sagen, das ist politisch viel zu heikel!“ „Ehrliche“ Informationen über die Ausbreitung der Infektion hatte die Regierung im April versprochen, nachdem sie dabei ertappt worden war, dass sie monatelang gelogen hatte.

Seither überschütten Chinas Medien die Öffentlichkeit mit Berichten über den Kampf heldenhafter Ärztinnen und Pfleger gegen SARS, propagieren Vorbeugemaßnahmen, drucken Rezepte für Stärkungsmittel und melden neueste SARS-Zahlen. Die Medien preisen das Dreigestirn an der Spitze des Oberkommandos im „Krieg gegen SARS“: Präsident Hu Jintao, Premier Wen Jiabao und Gesundheitsministerin Wu Yi, deren Name zum Entzücken der auf Wortspiele versessenen Chinesen ähnlich klingt wie „keine Epidemie“.

Trotzdem herrscht weiter großes Misstrauen gegenüber offiziellen Verlautbarungen. Zu offensichtlich sind die Versuche der Behörden, weiter Informationen zu kontrollieren. Beim US-Sender CNN, der ohnehin nur in teuren Hotels und Vierteln Privilegierter empfangen werden kann, drückten die Zensoren in den letzten Tag wiederholt auf den Störknopf: Der Bildschirm wurde vorübergehend schwarz, wenn CNN über Unruhen vor Quarantänestationen berichtete.

Die „Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit“ der KP wies, so wird in Peking berichtet, die Propagandafunktionäre an, „die korrekte Richtung der Nachrichten und Kommentare fest in den Griff zu nehmen und ein günstiges Klima für die Vorbeugung gegen SARS“ zu schaffen. Für Chinas Journalisten bedeutet das: „Wir müssen unseren Artikeln stets eine positive Tendenz geben, sonst werden sie nicht veröffentlicht“, sagt eine Reporterin. Die für ihre mutigen Berichte bekannte Zeitschrift Nanfang Zhoumo erhielt jüngst einen neuen Chefredakteur. Der war zuvor in der Propagandaabteilung der SARS-Ursprungsprovinz Guangdong beschäftigt, wo er zu Jahresbeginn Nachrichten über SARS unterdrücken ließ.

Inzwischen gibt es an einigen Hochschulen eine inoffizielle Debatte über die Gründe des SARS-Desasters. Solange Funktionäre sich nicht vor dem Volk verantworten müssen, werde es solche Krisen immer wieder geben, warnen Kritiker. Noch immer werde das volle Ausmaß von SARS nicht offen gelegt, weil die Verantwortlichen sich nur davor fürchten, ihre Vorgesetzten mit schlechten Nachrichten zu verärgern. Die Entlassung des Pekinger Bürgermeisters und des Gesundheitsministers sei Augenwischerei. Eine offene Debatte über die politischen Folgen der SARS-Krise für die seit März amtierende Regierung von Präsident Hu und Premier Wen gibt es nicht.

Nach wie vor gilt ein Gesetz von 1988, laut dem alle Informationen über Krankheiten Staatsgeheimnisse sind, solange das Gesundheitsministerium sie nicht bekannt gegeben hat. Als der Militärarzt Jiang Yanyong im April die Pekinger Regierung beschuldigte, das wahre Ausmaß von SARS zu vertuschen, wagte kein einheimisches Medium, dies zu berichten. Die Kritik konnte nur in ausländischen Medien erscheinen. Inzwischen ist der Arzt nicht mehr erreichbar, sein Schicksal ist unklar.

Kein Wunder, dass sich Herr Wang wie Millionen Chinesen auf Handy und Internet verlässt. SMS-Botschaften zu SARS und Gerüchte verbreiten sich blitzschnell. So beliebt ist diese Form der „Informationsguerilla“, dass die Behörden jetzt Handy-„Gerüchteköche“ verhaften.