ausgehen und rumstehen
: Singend mit heißer Hühnersuppe aufgefangen werden

Man muss ja wissen, was man von all dem will. Pflicht, Wahrheit, Zwischentöne. Denn es ist doch oft so, dass das meiste nach kurzem Schlaf vergessen ist. Was bleibt, sind Bilder von einen Spalt offenen Klotüren, in dem lachende Menschenstapel sichtbar werden, und einzelne Worte, die im Zwischenspeicher stehen. Backstagewichse war so ein Wort.

Verschiedene Lichtverhältnisse, verschiedene Standorte. Viel mehr bleibt nicht. Neue Telefonnummern in der Anrufliste sind die einzigen Zeugen der verschiedenen Jobangebote in einer Nacht. Wenn man Glück hat, kann man Namen und Gesichter irgendwann wieder zuordnen, weiß mit welchem Ergebnis Gespräche geendet haben. Die blauen Spritzer an den Wänden zu Hause und die neuen Fotos auf der Kamera erzählen die Geschichten von danach, als es doch schon wieder hell war. Wie wir beim Schlachter hielten und D. mit einem nackten Hühnerkörper in einer Plastiktüte heraus kam und was mit dem letzten Wein passierte, bevor der Nachbar zur Rettung eine neue Flasche vor dem Fenster versteckte.

„Ich war noch nie auf einer privaten Party, auf der so viele Frauen Pumps anhatten“, das sagte jemand am nächsten Abend zwischen Käsebrett und Kuchenschachteln, und das blieb im Kopf, weil es mit viel eigenem Schmerz verbunden war, wie man über Mittes Kopfsteinpflasterstellen balancierte, den Herren im Anzug stützend, stilecht an der Seite. Die Spuren von letzter Nacht waren verwässert. Die nächsten Korken, die nächsten Nummern. Jacketts, die nicht geöffnet wurden. Jemand überlegte, noch mal in den Baumarkt zu fahren, die anderen verteilten sich auf die Clubs, je nach Alter und Herkunft. In der Rosmarinstraße sah es aus wie in der Fußgängerzone einer Kleinstadt, in der man noch nie war. Wir hatten die Freigetränke-Phase nur knapp verpasst, standen zwischen halbleeren Gläsern, und beim Gehen entschuldigte sich der Clubbesitzer fast für seine Diskothek: „Ja, ist halt so ’n Mitte-Laden, ne? Die wollen das so. Die brauchen Licht, die wollen die Frauen sehen.“

In einem anderen Mitte-Laden hatte das sympathische Betreiberpaar Plastikschnee verpustet und einen Crêpes-Stand aufgebaut. An den Bars standen Kekse und die Mädchen hießen hier Larissa oder Amélie. „Take your time, sweetey“, sagte so eine auf dem Klo, während wir das Bier auf dem Spülkasten abstellten. „Ach, du bist der Fotograf“, sagte eine andere an der Bar. „Ja genau. Und wer bist du?“ Und antwortete dann: „Ich bin die Geliebte.“ Der Fotograf erzählte später, dass gleich seine Exfreundin komme. Vielleicht aber auch eine seiner guten Freundinnen, mit der er zurzeit eine Affäre habe. Egal, er würde dann mit der nach Hause gehen, die zuerst vorbeikommt. Der Betreiber machte Bilder von Lichterketten und Lametta an den Wänden, und bevor man auch nur denken konnte, dass man „Last Christmas“ komischerweise in jedem Jahr erneut hören konnte, sah man küssende Leute mit Plüsch-Hirschgeweihen am Glühweinstand, und das war dann doch zu viel für eine Samstagnacht im Clubkontext.

Jemand wollte noch auf eine Leopardenfellparty in Neukölln gehen, die anderen sind verloren, und der Taxifahrer erzählte von seinen zwei süßen Töchtern, während er an der Ampel wartete und Kaugummis verteilte. Auf dem Klo sagte ein schwuler Partyjunge: „Ich steh nicht an, ich warte nur.“ Und da fanden wir das noch irgendwie lustig. Um fünf zu gehen war viel zu üblich, an der Garderobe stand eine lange Schlange. Aber im Berghain auf den nächsten Tag zu warten, bis die anderen kommen, geht auch nicht. Nicht mal bei Eis und Wodka. Die Türsteher sind immer nur so gut wie ihr Publikum. Die Füße schmerzten. Jetzt fingen diese Gespräche wieder an, an die man sich am nächsten Tag nicht erinnern kann.

Alles, was man will, ist ein gutes Erwachen. Singend vielleicht. Und mit heißer Hühnersuppe und zerkochten Nudeln aufgefangen zu werden. LAURA EWERT