Show-down in der Zielgeraden

Giscard drohte störrischen Konventsmitgliedern Nachsitzen an: „Sie müssen Ihre Anwesenheit in Brüssel mindestens drei ganze Tage sicherstellen“

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Zu jedem ordentlichen Show-down gehört ein Duell, mag sich Valéry Giscard d’Estaing gesagt haben. Der von ihm geleitete Konvent, der die EU reformieren soll, setzt zum Endspurt an – nach der Plenarsitzung heute und morgen stehen nur noch zwei weitere Termine im Sitzungskalender. Da sich EU-Kommissionspräsident Romano Prodi einigen von Giscards Reformplänen lautstark widersetzte, will der Franzose den Streit von Mann zu Mann austragen.

„Gerne will ich an einer öffentlichen Debatte teilnehmen, die den Bürgern unsere Ideen darüber erläutert, wie das Institutionengefüge der Union einfacher, wirkungsvoller und demokratischer organisiert werden kann“, beantwortete Prodi die Herausforderung des Konventspräsidenten. Der hatte seinem italienischen Kontrahenten zwar nicht die Wahl der Waffen, aber die freie Auswahl des Ortes überlassen. Prodi antwortete, er könne sich keinen besseren Platz als Brüssel für ein solches Duell vorstellen.

Dass die Auseinandersetzung nun in der Zielgeraden an Schärfe zunimmt, hat der Konventspräsident seiner eigenen Regie zuzuschreiben. Viele Sitzungen verbrachten die Konventionalisten mit folgenlosen Grundsatzerklärungen, bevor konkrete Textvorschläge auf ihren Pulten lagen, über die sie sich dann sachlich auseinander setzen konnten. Die brisanten Kapitel über die Neuordnung der Institutionen und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik schob Giscard ans Ende des Sitzungsmarathons. Er hoffte wohl auf den Überrumpelungseffekt.

Streithähne

Doch diese Rechnung geht nicht auf. Kaum legte Ende April das Konventspräsidium die Vorschläge für einen auf zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten des Europäischen Rates und eine auf vierzehn Mitglieder verkleinerte Kommission auf den Tisch, reagierte die Kommission mit einem Gegenvorschlag. Sie will den Hickhack der halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaft dadurch beenden, dass jeder Fachministerrat sich für die Dauer eines Jahres einen Vorsitzenden wählen soll. Das Prinzip, wonach jedes Mitgliedsland einen Kommissar nach Brüssel entsenden kann, soll auch nach der Erweiterung beibehalten werden.

Fast beschwörend warf sich Anfang Mai Konventsvize Giuliano Amato in einem Zeitungsbeitrag zwischen die Streithähne. Die Debatte über den neuen Posten des Ratspräsidenten überschatte andere, viel wichtigere Fragen, warnte der sozialistische Politiker. „Industriegesetzgebung wird heute von den Industrieministern gemacht, Umweltgesetzgebung von den Umweltministern – das ist der helle Wahnsinn. In unseren heimatlichen Parlamenten würden wir solche Zustände nie akzeptieren.“ Deshalb sei ein für die Gesetzgebung zuständiger Rat viel wichtiger als die Frage, wer ihn leiten solle.

Bundestreue der Kleinen

Der Widerstand der Kommission gegen einen gewählten Vollzeitpräsidenten des Rates speist sich aus der Sorge, sie könnte dann zu einer ausführenden Behörde herabgestuft werden. Weniger Kommissare allerdings würde ihre Macht deutlich stärken. Schließlich darf sich nach den Vorstellungen des Konventspräsidiums der neue Kommissionschef seine Mannschaft aus einer Liste von Vorschlägen selber zusammenstellen. Wenn sich die Kommission gegen diese Idee so heftig wehrt, stecken taktische Gründe dahinter. Sie möchte sich so die Bundestreue der kleinen Mitgliedstaaten sichern, die den Ratspräsidenten ebenso heftig ablehnen wie eine verkleinerte Kommission.

Angesichts dieser verwirrenden Gemengelage an Interessen und Ideen scheint Giscards Plan, zum nächsten Gipfel am 20. Juni in Thessaloniki einen Vertragsentwurf zu präsentieren, den alle Konventsmitglieder unterstützen, völlig unrealistisch. Doch der alte Mann ist wild entschlossen. In einem Brief an „die lieben Konventionalistinnen und Konventionalisten“ drohte er störrischen Konventsmitgliedern Nachsitzen an. „Sie müssen Ihre Anwesenheit in Brüssel mindestens für jeweils drei ganze Tage sicherstellen.“

Ob es sein Besuch beim Papst in Rom war, der Giscard zu dieser an eine Papstwahl erinnernden Methode inspirierte, dazu schweigt der Brief sich aus. Verstärktes Medieninteresse jedenfalls ist dem Konvent nun gewiss. Die Kameras werden genau registrieren, ob sich die Promis im Saal dieser rigiden Klausur unterwerfen. Vor allem Joschka Fischer dürfte im Blitzlichtgewitter der Kameras stehen. Seit Bundeskanzler Schröder ihn offen als künftigen EU-Außenminister ins Gespräch bringt, wird jeder Diskussionsbeitrag des deutschen Konventsmitglieds noch genauer als zuvor analysiert. Wenn es um die Machtverteilung zwischen den Institutionen geht, werden ihm nun eigene Interessen unterstellt.