Nur einmal rutscht das Wort „Geiseln“ heraus

Die Bundesregierung sagt so gut wie nichts über die Befreiung der sechs deutschen Sahara-Touristen und das Schicksal der fünfzehn anderen Entführten. Offiziell spricht sie sogar nur von „Vermissten“. Und sie schweigt darüber, was ihre Geheimdiplomatie in Algerien gebracht hat

BERLIN taz ■ Im Leben der rot-grünen Bundesregierung gibt es Tage, an denen sie wenig sagt, und Tage, an denen sie gar nichts sagt. Der gestrige Mittwoch war so einer dieser Wir-können-leider-gar-nichts-mitteilen-Tage. Der Grund für dieses Schweigen war durchaus verständlich: Sechs deutsche Geiseln waren bis zum Abend aus den Händen ihrer vermeintlichen algerischen Entführer befreit, das Schicksal von fünfzehn weiteren verschwundenen Touristen, darunter zehn Deutschen, war aber zunächst noch unklar.

Über die Befreiung zeigte sich die Regierung „erleichtert“, sprach aber von einer weiterhin „prekären Situation“ und von „großer Sorge“ um die nach wie vor entführten Touristen. Das war’s dann aber im Wesentlichen auch schon mit der Information. Die Sprecher der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes baten um Verständnis dafür, dass sie aus Rücksicht auf das Leben der Entführten nicht mehr sagen könnten. Sie äußerten gegenüber den Medien den Wunsch, zurückhaltend zu berichten – und bedankten sich bei den Journalisten sogar ausdrücklich dafür, dass sie diesen Wunsch in den zurückliegenden Wochen respektiert hätten.

Wie sind die entführten Sahara-Touristen befreit worden? Wurde Gewalt eingesetzt? Waren deutsche Spezialkräfte an der Befreiung beteiligt? Waren die Touristen überhaupt in der Hand von terroristischen Geiselnehmern? Wurde Lösegeld gezahlt? Sind die immer noch entführten Touristen in den Händen der gleichen Entführer wie die jetzt befreiten? Auf diese und viele andere Fragen gab die Regierung gestern keine Antwort. Die Angehörigen der befreiten Touristen seien hingegen am Mittwoch morgen informiert worden.

Selbst bei vermeintlich harmlosen Formulierungen waren der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg und Außenamtssprecher Walter Lindner in der Regierungspressekonferenz auf der Hut. Sie sprachen von „Verschwundenen“ oder „Vermissten“ (nur einmal rutschte Steg das Wort „Geiseln“ heraus). Sie sagten, die Befreiten seien „in Algier wieder aufgetaucht“, um nicht den Ort der Befreiungsaktion nennen zu müssen. Sie wollten nicht einmal bestätigen, dass es überhaupt einen Gegenüber für Verhandlungen oder eine militärische Aktion gegeben hat.

Der Sprecher des Außenministeriums sagte aber immerhin, dass sich die Bundesregierung „mit allen Ebenen der algerischen Regierung in stetigem Kontakt“ befinde. Joschka Fischer habe bei seinem zehnstündigen Aufenthalt in Algier am Montag fünf Stunden mit dem algerischen Staatspräsidenten gesprochen. Ob der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Fischers Algerienbesuch und der Befreiung am Mittwoch Zufall ist? „Diese Interpretation überlasse ich Ihnen“, antwortete der Sprecher. Fischer allerdings hatte sich für eine friedliche Lösung der Entführung ausgesprochen – die algerische Armee hat offenbar jedoch eine militärische Lösung bevorzugt.

Das war über Wochen hinweg die Sorge der Bundesregierung: Dass die Militärs in Algier kurzen Prozess mit den Entführern machen würden, weil sie mit islamistischen Terroristen nun mal nicht verhandeln. Für die deutsche Regierung hingegen hatte das Leben der entführten Touristen immer oberste Priorität. Mit allen Mitteln versuchte sie, das Drama in der Wüste unblutig zu beenden. Sie bot der algerischen Regierung jede erdenkliche Hilfe bei Personal und Technik an. Sie schickte Experten vom BKA und vom BND sowie eine Abordnung der deutschen Eliteeinheit GSG-9 nach Algerien. Im April sprach Innenminister Otto Schily mit der algerischen Regierung. Der Kanzler schickte Anfang Mai Außenamtsstaatssekretär Jürgen Chrobog zum algerischen Staatspräsidenten – mit der dringenden Bitte, das Leben der Geiseln zu retten. Das alles musste stets mit der gebotenen Zurückhaltung geschehen. Die Generäle in Algier reagierten auf alles, was ihnen als Einmischung und Bevormundung erschien, allergisch. Auch deshalb ist die Bundesregierung bis heute so schweigsam. JENS KÖNIG