unterm strich
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Keinen Illusionen über die Wirkung von Literatur gibt sich der diesjährige Nobelpreisträger, Jean-Marie Gustave Le Clézio, hin. „Der Schriftsteller besitzt schon seit einiger Zeit nicht mehr die Überheblichkeit zu glauben, dass er die Welt verändert und mit seinen Kurzgeschichten, seinen Romanen ein besseres Lebensmodell schafft“, erklärte der 68-jährige französische Autor am Sonntag in der traditionellen Nobelvorlesung drei Tage vor der Preisverleihung in Stockholm. Der Schriftsteller wolle heute nur noch Zeuge sein, und auch dabei sei er „die meiste Zeit nur ein einfacher Voyeur“. „Tolstoi hält uns das Leid vor Augen, das Napoleons Armee in Russland angerichtet hat, und dennoch hat sich am Lauf der Geschichte nichts geändert. Claire de Duras schreibt ‚Ourika‘, Harriet Beecher Stowe ‚Onkel Toms Hütte‘, aber es sind nicht Schriftsteller, sondern die Sklavenvölker selbst, die ihr Schicksal verändern.“

Trotzdem sei Literatur heute notwendiger und unverzichtbarer denn je, weil Schriftsteller Hüter der Sprache seien, sagte Le Clézio weiter. Gleichzeitig appellierte der Nobelpreisträger, eine Teilung der Welt in jene, die Zugang zur Kommunikation und zu Wissen haben, und jene, die davon ausgeschlossen bleiben, nicht zuzulassen. „Man kann nicht die Achtung vor dem Anderen und die Gleichheit aller zum Prinzip erheben, ohne jedem Kind die Möglichkeit zu bieten, die Schrift zu erlernen.“ Der Autor von mehr als 30 Büchern bekommt den mit 10 Millionen Kronen (950.000 Euro) dotierten Literatur-Nobelpreis am Mittwoch aus der Hand von Schwedens König Carl XVI. Gustaf überreicht. Le Clézios neuester Roman „Ritournelle de la faim“ (Ritornell des Hungers) erscheint auf Deutsch im Herbst 2009 bei Kiepenheuer und Witsch Köln.