sahara
: Die hässliche Seite der Wüste

Die Wüste lebt. Radikale Islamisten nehmen in der Sahara haufenweise Touristen als Geiseln, Algeriens Armee muss sie monatelang suchen und dann in einer blutigen Militäraktion befreien. Die betörende Kulisse unendlicher Weite, die Touristen anlockt, enthüllt ihre verborgenen Wahrheiten. Mit der Geiselaffäre rückt die Wüste in die Welt zurück.

Kommentar von DOMINIC JOHNSON

Die Sahara ist kein entrückter, zeitloser Ort, sondern eine Region voller hässlicher Geheimnisse. Für die Öffentlichkeit gesperrt, finden sich in Südalgerien Afrikas größte Öl- und Gasfelder neben verseuchten Testgeländen französischer Atomversuche. Uralte Handelsrouten, die im Mittelalter die Großreiche Afrikas und Europas verbanden, dienen heute dem lukrativen Schmuggel von Waren und Menschen, und es sterben auf ihnen unzählige illegale Migranten. Malis Militärdiktaturen betrieben in der Wüste Arbeitslager in Salzminen, Libyen bildete bewaffnete Tuareg-Armeen aus. Nomadenvölker ignorieren in bewundernswerter Selbstverständlichkeit Staatsgrenzen und zwangsversetzte Zöllner. Ganze Guerillabewegungen können spurlos in der Sahara verschwinden, von Islamisten aus Algerien bis zu Rebellen im Tschad.

Dass zwischen all diesen Umständen Zusammenhänge bestehen, ist der internationalen Politik bisher entgangen. Die Grenzen, die die Maghreb-Staaten Nordafrikas vom so genannten Sub-Sahara-Afrika trennen und damit in allen Industrienationen mentale Mauern zwischen „arabischen“ und „afrikanischen“ Ländern darstellen, verlaufen quer durch die Wüste. Sie blenden den Raum Sahara als eigenes System von bizarren Lebensverhältnissen, als Entwicklungsmotor in Ländern wie Algerien, Libyen, Mali oder Niger aus. Das ändert sich manchmal, etwa wenn Algerien im Auftrag der EU seine Südgrenze gegen illegale Afrikaner abschotten soll oder wenn Entwicklungshelfer in Mali Tuareg-Nomaden entwaffnen. Doch die Gesamteinsicht in das Funktionieren eines riesigen Erdteils fehlt.

Dabei passt die Sahara hervorragend in die moderne Welt. Hier sind Machtverhältnisse so eng wie kaum irgendwo sonst an Mobilität gekoppelt, an das Beherrschen großer Entfernungen und an präzise Kenntnisse über weit entfernte Orte und Menschen. Denkmuster, die anderswo erst mühsam gelernt werden müssen, sind für die Wüstenbewohner Routine. Auch insofern stellen die Terroristen, Schmuggler und Grenzüberschreiter der Sahara durchaus eine Avantgarde der Globalisierung dar.