Integration in Gefahr

Kürzungen bedrohen die gemeinsame Erziehung von Behinderten und „Normalos“. Fachtagung im Rathaus

epd ■ Bremen hat vor 20 Jahren mit der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kindergartenkinder begonnen und war damit Vorreiter in Deutschland. Dieses Jubiläum feiern die Initiatoren seit gestern mit einem zweitägigen internationalen Fachkongress im Festsaal des Rathauses. Die ersten integrativen Gruppen hat die Bremische Evangelische Kirche gegründet. Sie habe mit „missionarischer Leidenschaft“ die Auffassung verbreitet, dass es normal sei, verschieden zu sein, sagte die Leiterin des Landesverbandes Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, Ilse Wehrmann.

Zu Beginn des Kongresses sagte Wehrmann, der Aufbau in den vergangenen zwei Jahrzehnten sei von Kämpfen und Verteidigung geprägt gewesen. „Wichtigstes Ziel war, die bis dahin übliche Form der Integration von behinderten Kindern in Sondergruppen zu beenden.“ Von Anbeginn galt, Kinder ungeachtet der Schwere ihrer Behinderung aufzunehmen. „Eine Einstellung, die damals als revolutionär galt.“ Mit diesem Konzept habe Bremen ganz Deutschland beeinflusst und werde unter anderem auch in China als Modell für Kindergärten beachtet.

Wehrmann kritisierte vor den etwa 200 Tagungsteilnehmern aus Deutschland und Österreich, trotz der anerkannt guten Arbeit sei es zu erheblichen Einschnitten in den Pflegesätzen gekommen. Die Mittel für therapeutische und behindertenpädagogische Förderung seien vom Land um zwei Drittel gekürzt worden. „Damit stehen wir an einem Wendepunkt zu einer neuen Epoche, die mit erheblich reduzierter Personalausstattung die gemeinsame Erziehung auch gefährden kann.“

In der evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde Bremen-Huchting begann die erste integrative Kindergartengruppe vor zwei Jahrzehnten mit sechs Kindern und vier Therapeuten bei einem Etat von 30.000 Euro. Heute fördern über 250 Fachkräfte mehr als 480 Kinder. Der Haushalt für die integrative Erziehung der evangelischen Tagesstätten in Bremen hat fast sechs Millionen Euro erreicht.

Die Kirche will die Förderung künftig auf die Gruppe der unter Dreijährigen ausdehnen und in regionalen Förderzentren organisieren. „Je früher die Förderung einsetzt, desto leichter und spielerischer geht es“, sagte Hirnforscherin Ruxandra Sireteanu vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt/Main während der Tagung.

Nach Auffassung von Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) ist Bremen in der Integration nach wie vor „gut aufgestellt“. In ihrem Grußwort widersprach sie Vermutungen, die Stadt wolle sich aufgrund der Kürzungen aus der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder verabschieden. Es gehe nur darum, Abläufe auf ihre Effektivität zu „durchleuchten“.

Die Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche, Brigitte Boehme, sagte, die Kürzungen gefährdeten den in Bremen mittlerweile gesetzlich verankerten Auftrag zur integrativen Erziehung. „Wir brauchen den Staat als kompetenten und zahlungsbereiten Partner.“ Dieter Sell