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: Das Beschissene am Alles-Sammeln-und-Behalten und Jeden-Verlust-Beklagen

Wegwerfgesellschaft, totale Wegwerfgesellschaft!

Eins der Etablissements, auf deren Mailinglisten meine Adresse vermutlich für viele Penunzen bei großen Mailadressenverkaufs-Transaktionen gelandet ist, hängt an seine Veranstaltungstipps immer eine Aufstellung mit den Dingen, die man nachts dort gefunden hat. Die Jacken will wohl keiner zurück, sie stocken seit Wochen im Biermief herum (aber wenn meine Garderobenhaken nicht andauernd aus den papiernen Wänden der Wohnung bröckeln würden, nähme ich sie alle!). Auch um ihre Regenschirme und Schlüssel mit lustigen Plateauschuhmodellen als Anhänger scheinen sich die Loser einen feuchten Kehricht zu scheren. Was mich wirklich wundert, ist jedoch, dass niemand den Fahrzeugschein für einen Toyota haben will. Ob das ein Millionär war, der seine vielen Kfz-Scheine ohnehin nur alle Jubeljahre mal zählt? Oder war der Mann so blau, dass er nicht einmal den Verlust bemerkt hat?

Wegwerfgesellschaft, kann ich da nur altklug unken, totale Wegwerfgesellschaft! Als ich vor ungefähr 12 Jahren mal eine coole schwarze Mod-Jacke mit einem todschicken Starsky-&-Hutch-Button in der U-Bahn hab liegen lassen, hängte ich danach sogar kleine Zettelchen an die U-Bahn-Säulen und Abstempelautomaten: „Starsky-&-Hutch-Button mit Jacke dran verloren! Belohnung!“ Nachdem sich ein paar Wochen lang niemand gemeldet hatte, versuchte ich es bei der BVG-Fundstelle. Dort fieberte ein scheeläugiger Mann in einem staubigen Büroraum vor sich hin, der seit 1956 keine lebendige Frau mehr gesehen hat. Er zeigte mir alle gefundenen „Anstecker“, und ich nahm, nur damit ich wieder rauskam, bevor es dunkel wurde, einen mit „Joy Division“ mit. Nach den Jacken wagte ich gar nicht mehr zu fragen. Aber manchmal träume ich noch von dem Button, meistens fahre ich im Traum ein wenig mit Hutch Auto, Verfolgungsjagden und so, und wir werden in den Kurven schön aneinander geschleudert.

Jeder weiß doch, dass Dinge, die man verloren und wiedergefunden hat, an Wert gewinnen, genauso wie Dinge, die kaputtgegangen sind und die man wieder reparieren konnte. Darum verstehe ich nicht, wie man seinen Lieblingsbutton so einfach aufgeben kann. Das einzig Beschissene am Alles-Sammeln-und-Behalten und Jeden-Verlust-Beklagen ist, dass es mich immer an das Hippiebuch „Der Papalagi“ erinnert, mit dem einem „Werte und Normen“-Lehrer (so hieß der Religionsersatz mal in niedersächsischen Schulen) jahrelang auf die Nerven gingen. Der Papalagi, falls das schon jemand verdrängt hat, handelt von dem angeblichen Südseehäuptling Tuiavii aus dem Dorf Tiavea auf der Insel Upolu, der sich weise und kopfputzschüttelnd über den weißen Mann (den „Papalagi“ nämlich) wundert, vor allem darüber, dass der weiße Mann so viele Dinge besitzt, wo der glückliche Südseehäuptling doch gar nichts besitzt. Natürlich wurde ziemlich schnell klar, dass das Buch in Wirklichkeit von einem echten Papalagi, irgendeinem deutschen Post-Steiner-Prä-FKK-Hippie, geschrieben war und wirkliche Südseehäuptlinge nichts übrig haben für solchen Quatsch. Die sammeln nämlich selbst alles, nur eben aus anderen Materialien. Außerdem heißen sie bestimmt nicht Urlaub-mit-der-Tuiavii und wohnen auf Nivea. Trotzdem hat sich die Idee dermaßen in mir festgehakt, dass ich mich, wenn ich mal wieder um meinen Starsky-&-Hutch-Button trauere, ein wenig dafür schäme, selbst so ein sammelnder Papalagi zu sein. JENNI ZYLKA