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: HELMUT HÖGE über Transformationsprozesse

Auslaufende Produktion und anhebende Authentizität

Nirgendwo stehen so viele denkmalgeschützte Fabriken herum wie in Deutschland. Wo ihre Umwandlung in Lofts und Großraumbüros mangels Bedarf bislang noch nicht in Angriff genommen wurde, dürfen die Künstler die leer stehenden Hallen bespielen. Meist nutzen diese den Veranstaltungsort nur als „abgefahrene Location“. Jetzt gibt es aber ein Theaterstück, „Die Union der festen Hand“, das an vier postindustriellen Spielorten den darin einst ausgetragenen schwerindustriellen Kampf zwischen Kapital und Arbeit erneut „thematisiert“, dem mithin diese Kulissen nicht nur äußerlich sind, sondern dem sie im Gegenteil, nun – „da der Ort dabei selber zum Akteur wird – Authentizität beibringen“.

Das Theaterstück über die Ruhrbarone, deren Rheinischer Kapitalismus erst jetzt „umgebaut“ wird, basiert auf einem Schlüsselroman, den Hermann Dannenberger, der Sohn eines Kruppmitarbeiters, Ende der Zwanzigerjahre veröffentlichte: „Die Union der festen Hand“. Dem Autor mit dem Pseudonym Erik Reger (nach 1945 gründete er den Tagesspiegel) ging es dabei um den „Umbau“ der Industriemacht – nach Kaiserreich, verlorenem Ersten Weltkrieg und Revolution.

In Essen ist der Spielort dafür die Zeche Zollverein, die 1932 mit modernster Technik in Betrieb genommen wurde und täglich 12.000 Tonnen Steinkohle förderte. Bis zur Stilllegung 1986 blieb „diese Leistung europaweit unübertroffen“ – nur leider musste jede Tonne Kohle subventioniert werden, um keinen „Verlust“ darzustellen.

Noch absurder gestaltete sich das Ende der Wertschöpfung beim zweiten Spielort – im Bergwerk Göttelborn der Saarbergwerke AG. Hier entstand zwischen 1990 und 1995 die „modernste Förderanlage Europas“. Kaum war die Produktion angelaufen, fiel das Werk dem „saarländischen Kohlekompromiss“ zum Opfer und wurde 1997 als „Investitionsruine“ zum Industriemuseum auf Basis von ABM.

Der dritte Spielort, in Goslar, ist das Bergwerk Rammelsberg, wo 3.000 Jahre lang Kupfer, Silber und Blei gefördert wurden. Es war schon 1932 unrentabel, aber im Zuge der nationalsozialistischen Autarkiepolitik noch einmal mit der „modernsten Erzaufbereitungsanlage der damaligen Zeit“ ausgerüstet worden. 1988 wurde das Werk endgültig geschlossen.

Der vierte Spielort befindet sich in Berlin: im ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) „Franz Stenzer“ an der Warschauer Brücke. Mit dieser ausgeweideten Industrieruine wird gleichsam die Verbindung zu den anderen drei Spielorten hergestellt, die ja vor allem über „die Schiene“ lief. Das größte und älteste deutsche Reichsbahnausbesserungswerk entstand 1867 und wurde 1991 stillgelegt, nachdem die Reichsbahn in der Bundesbahn aufgegangen und diese privatisiert worden war. Das RAW ist nun eine „Top-Immobilie“ der „Vivico Real Estate“, die unter anderem große Teile der ehemaligen Bundesbahn-Immobilien vermarktet.

Diese ganzen – zerrissenen – Verbindungen laufen jetzt also noch einmal zusammen in dem „Theaterprojekt: ‚Union der festen Hand‘ “, das die Firma „mediapool gmbh berlin“ produziert und die „Bundeszentrale für politische Bildung Bonn“ sponsert. In Göttelborn heißen die lokalen Partner „Industriekultur Saar GmbH“ und das „Festival ‚Schichtwechsel‘ “. Am Rammelsberg und auf der Zeche Zollverein ist es die jeweilige Verwaltung des „Weltkulturerbes“. Das Ensemble des „Industrie-Theater-Projekts“, das von Stephan Stroux geleitet wird, bespielt die vier Orte nacheinander, geprobt wurde jedoch quasi in allen Hallen und Werkstätten gleichzeitig.

Als Zugabe gibt es im Friedrichshainer RAW noch ein sozialstaatlich bezuschusstes „Beiprogramm“, das von Filmen zum Thema über Auftritte des Feuerkünstlers Kain Karawahn bis zur „Trümmerkunde für Schulen“ reicht – und den Titel trägt: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, wollte keine Knechte“. Das ganze katalogdicke Projekt resümiert damit und in den obigen Koalitionen noch einmal nahezu die gesamte Entwicklung von der Montan- zur Spontanunion. Und wir stehen mittenmang.