Hühnerdiebs Ende

Karl-Heinz Wildmoser senior dankt endlich und gezwungenermaßen als Löwen-Präsident ab. Karl Auer wird sein Nachfolger und teilt sich mit Vize Hans Zehetmair das schwere Erbe beim TSV 1860

AUS MÜNCHEN JOACHIM MÖLTER

Zwölf Jahre hatte Karl-Heinz Wildmoser den TSV 1860 München regiert wie ein Großfürst, am späten Montagabend wurde er vom Hof gejagt wie ein kleiner Hühnerdieb. Als sich die Nachricht von seinem Rücktritt als Präsident auf dem Trainingsgelände herumgesprochen hatte, jubelten seine Gegner, als wäre die Mannschaft deutscher Fußballmeister geworden. Und als Wildmoser wenig später in seinem Auto wegfuhr, verabschiedeten sie ihn mit Schmähgesängen. Es dauerte freilich nicht lange, dann herrschte wieder Ruhe an der Grünwalder Straße.

Ob die nun auch in den Verein einkehrt, muss man abwarten. Der Aufsichtsrat von 1860 hat jedenfalls alles derzeit Mögliche dafür getan in den dreieinhalb Stunden, in denen er auf der Geschäftsstelle beriet. Es ging um die Frage, ob Wildmoser noch tragbar sei für den Verein, nachdem gegen ihn ermittelt wird im Bestechungsskandal um das neue Fußballstadion. Der 64-Jährige schien um sein Amt kämpfen zu wollen, aber bereits am Anfang der Sitzung erklärte er, es doch aufzugeben: „Ich werde seit zwölf Jahren fast permanent beschimpft, das geht einem auf den Geist. In sechs Wochen kriege ich meine Rente, die möchte ich genießen.“ Damit war die befürchtete Kampfabstimmung im Aufsichtsrat um Verbleib oder Absetzung nicht mehr nötig.

„Einen größeren Gefallen hätte er uns und dem Verein nicht tun können“, sagte Hans Zehetmair. Der ehemalige Kultusminister von Bayern war zuvor als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Wildmoser gehandelt worden. Als Zehetmair am späten Abend vor die Mikrofone trat, tat er das freilich als Vizepräsident. Als Präsident wurde Karl Auer präsentiert, und das überraschte auch diesen selbst. „Es hat vorher keiner mit mir gesprochen“, sagte er. Zehetmair erklärte: „Wir empfinden das als sehr gelungene Lösung.“ Zumindest ist es ein cleverer Schachzug, um die Gemüter zu besänftigen und den in zwei Lager gespaltenen Verein wieder zu einen. Auer ist Anhänger von Wildmoser, Zehetmair hingegen der Favorit der von Münchens Oberbürgermeister Christian Ude angeführten Wildmoser-Opposition im Aufsichtsrat. „Wichtig ist jetzt, dass sich die einen nicht als Sieger fühlen und die anderen nicht als Besiegte“, sagte Zehetmair, „wir brauchen sie alle.“ Der Klub geht sportlich schweren Zeiten entgegen: Die Mannschaft kämpft um den Klassenerhalt, und wenn der nicht gesichert wird, ist auch die wirtschaftliche Existenz unsicher.

Wie es in der Führungsetage weitergeht, ist trotz allem ebenfalls offen, weil Karl Auer nur als Strohmann gilt. Der 56 Jahre alte Münchner ist bislang nicht aufgefallen beim TSV 1860, dem er seit 1960 angehört. Seit acht Jahren sitzt er im Aufsichtsrat, und trotzdem wussten die meisten Anhänger am Montagabend nicht viel mehr über ihn, als dass er die Amateure des Klubs gelegentlich mit Wurst beliefert. Auer ist gelernter Metzger wie Wildmoser, er hat eine Firma mit fünfzig Mitarbeitern südlich von München. Beim TSV 1860 soll er nun mehr als 20.000 Mitglieder leiten, und das ohne jegliche Erfahrung in irgendeiner ehrenamtlichen Führungsfunktion.

Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt wirkte er entsprechend unbeholfen, er sprach leise und hielt sich eher hinter Politprofi Zehetmair zurück. Den sehen viele als den wahren starken Mann, und er war es auch, der die vorläufige Aufgabenteilung bekannt gab: „Ich lasse den Präsidenten Präsident sein und kümmere mich um das, was ich am besten kann: Kontakte.“ Heute wollen Auer und Zehetmair erst einmal die Angestellten des Vereins kontaktieren, inklusive Mannschaft und Trainer; am Montag nächster Woche trifft sich der Aufsichtsrat abermals, um weitere Personalfragen zu klären. Es muss ja noch ein weiterer Vizepräsident gefunden werden, nachdem die bisherigen Vizes Kurt Sieber und Paul Wonhas satzungsgemäß mit Wildmoser zurücktreten mussten.

Zudem müssen die Positionen besetzt werden, die Karl-Heinz Wildmoser junior geräumt hat, der Sohn des nun ehemaligen Präsidenten. Der Junior ist derzeit als Hauptverdächtiger im Bestechungsskandal inhaftiert, er war Geschäftsführer sowohl der Lizenzspielerabteilung von 1860 als auch der Stadion GmbH. Noch am Montagabend kam Rolf Rüßmann ins Gespräch, früher Manager in Mönchengladbach und Stuttgart. Aber in diesem Punkt demonstrierten Karl Auer und Hans Zehetmair schon mal Einigkeit: Rüßmann muss nicht sein.