Atom ist bei RWE kein Thema

Auf der Hauptversammlung des Energiekonzerns lässt sich der neue Chef Harry Roels von der Mehrzahl der Anteilseigner feiern und teilt Dividenden aus. Über den Skandal-Atomreaktor Biblis A dagegen wollen nur die kritischen AktionärInnen reden

aus Essen ANNIKA JOERES

Helmut Kohler will keine „atombetriebene Rolltreppe“ benutzen. Der grauhaarige Mittsechziger läuft die Stufen zur Jahreshauptversammlung des Essener Energieriesen RWE lieber mit eigener Energie. Vier Stunden später wird er beantragen, die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht zu entlasten. „RWE produziert seine Gewinne aus hochgiftigem Atommüll,“ sagt er vor rund 5.000 AktionärInnen.

Zum Glück von Vorstandschef Harry Roels ist Kohler in der Minderheit. Keine lautstarken Proteste von AtomkraftgegnerInnen störten die Veranstaltung des AKW-Betreibers. Die Mehrzahl der AktionärInnen interessierte sich vor allem für die Bilanz. Eine Dividende von 1 Euro und 10 Cent konnte sie zufrieden stellen, weniger erfreulich fanden sie die hohe Verschuldung: Der expansive Shoppingkurs von Roels Vorgänger Dietmar Kuhnt hat RWE fast 25 Milliarden Euro Schulden eingebracht, die bis zum Jahresende um zwei Milliarden Euro gedrückt werden sollen. Für über 30 Milliarden Euro hatte Kuhnt unter dem Motto „Alles aus einer Hand“ zuletzt Gas-, Wasser- und Stromfirmen wie das Dortmunder Energieunternehmen VEW, das tschechische Konglomerat Transgas oder den britischen Gas- und Stromanbieter Innogy erworben. Jetzt ist Sparsamkeit angesagt.

Sparsam waren auch die VerbraucherInnen. Sie produzierten weniger Müll und bescherten dem Bereich Umweltdienstleistungen Einbrüche: Im ersten Quartal verringerte sich der Umsatz um 5 Prozent auf 486 Millionen Euro, das betriebliche Ergebnis brach gar um 30 Prozent auf 20 Millionen Euro ein. Roels will deshalb 50 Millionen Euro pro Jahr bei den Recycling- und Entsorgungsbetrieben sparen.

Hohe Priorität gibt der Manager außerdem der Veränderung der Konzernstruktur. Hier gelte die Devise: „Komplexität reduzieren“. Das Gehalt hingegen soll steigen: Vorstand und Aufsichtsrat wollen ihren Verdienst „dem Aufwand gemäß erhöhen“. Jeder aus der zwanzigköpfigen Männerriege soll 25 Prozent mehr bekommen, „sofern er an mindestens einer Aufsichtsratsversammlung pro Jahr teilnimmt“. Trotz des Widerspruchs vieler kritischer AktionärInnen wurde diese Forderung abgenickt.

Der Niederländer Roels erwähnte mit keinem Wort die lukrativen Atomgeschäfte. Aus gutem Grund: Ende April war bekannt geworden, dass die Ansaugöffnung des Notkühlsystems im hessischen Reaktor Biblis A deutlich kleiner ist, als die Betriebsgenehmigung vorsieht. Damit bestand die Gefahr, dass der Reaktor bei einem Unfall nur unzureichend gekühlt wird. 28 Jahre lang hatten RWE und der TÜV, aber auch die Aufsichtsbehörden das Sicherheitsrisiko nicht bemerkt. Greenpeace und der Bundesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) forderten, neben der Betreiberin RWE auch die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und das AKW stillzulegen.

Auch gestern war der BBU aktiv. Sprecher Eduard Bernhard forderte die AktionärInnen auf, den Aufsichtsrat wegen „mangelnder Information über AKW nicht zu entlasten“. Zu spät habe RWE über die Probleme in Biblis informiert. Und auch über den Abbruch des Reaktors Mülheim-Kärlich wisse man bisher nichts. Bernhards Antrag wurde abgelehnt. Auch Kohler fand keine Zustimmung. Die meisten AktionärInnen standen schon für die Bockwürstchen mit Senf an.