Mit heruntergelassenen Lidern

Musik zum Drin-spazieren-Gehen: Aerogramme installieren im Knaack ihre metallischen Klanglandschaften

Na endlich mal eine Band, die in der Lage ist, eine Platte sinnfällig zu benamen. „Sleep and Release“ haben Aereogramme ihr neues, zweites Album genannt, was so ziemlich exakt die Struktur des Gitarrenrocks der vier Bärtigen aus Glasgow beschreibt: Denn bei Aereogramme hat man es mitnichten mit Spannungsaufbau im tradierten Sinne zu tun, sondern eher mit einem ständigen Auf und Ab, mit langen schläfrigen Phasen, die abrupt lärmig beendet werden.

So entstehen weniger Songs als vielmehr die so beliebten Klanglandschaften, in denen der Zuhörer spazieren gehen mag – am besten mit heruntergelassenen Lidern, womöglich dem einen oder anderen illegalen Wirkstoff in den Adern und einer eher melancholischen Stimmung im Gemüt. So kann man sich mal einbilden, in einem frühen Metallica-Konzert zu sein und nur zwei Sekunden später schon bei einer fidelnden Folkkapelle, während die epische Breite der Aufführung manchmal auch an Sigur Ros erinnert. Und dabei ist noch zu bedenken, dass „Sleep and Release“ lange nicht mehr so eklektisch geraten ist wie frühere Veröffentlichungen von Aereogramme. Von elektronischen Spielereien ist kaum mehr etwas zu hören, stattdessen nimmt der Metal einen noch prominenteren Platz ein. Denn, daran erinnern nicht zuletzt immer neue Geschichten von ständigem Streit innerhalb des Quartetts, wegen denen schon mal beinahe eine Peel-Session gescheitert wäre: Noch sind Aereogramme eben kein funktionales Projekt, sondern eine Rockband, so wie sie momentan wieder modern sind, mit allen Unwägbarkeiten des Modells.

Dazu passt, wenn Bassist Campbell McNeil verkündet, man habe „keinerlei Interesse an kulturell abgesicherter Post-Ironie“, sondern trage stattdessen das Herz ganz offen vor sich her. Tatsächlich dürfte man selten Musik gehört haben, die so intensiv das Gefühl von Anstrengung und Schmerz vermittelt, das ihre Herstellung verursacht haben muss. Musik, wie sie Aereogramme verstehen, ist Musik, die entstehen muss gegen alle kommerziellen Erwägungen, trotzig am Rande des Existenzminimums, als Produkt eines langen, entnervenden Arbeitsprozesses: Es scheint fast, dass nur wer lange genug durch den trüben Alltag gegangen ist, noch in der Lage ist, Schönheit zu erkennen. Der schottische Dauerregen mag diesen Blick zusätzlich schärfen. THOMAS WINKLER

Am Montag, 19. 5., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg