Der Zug in die Einheit spaltet

Der „Türkische Festzug“, gedacht als Marsch gegen Vorurteile und für interkulturelle Brücken, ist unter den Migranten selbst umstritten. Nationale und rechte Töne könnten den multikulturellen Chor dominieren – befürchten die Kritiker

Auf der Schaumeile für Bekundungen jeglicher Art, der Straße Unter den Linden, wollen heute mehrere tausend Türkinnen und Türken aus allen Ecken Deutschlands demonstrieren. Unter dem Namen „Türkischer Festzug“ wollen sie, wie im vergangenen Jahr zum ersten Mal geschehen, gegen Vorurteile und für Integration demonstrieren. 2002 sammelten sich 15.000 Teilnehmende. Diesmal sollen es schon mehr sein, sagen die Veranstalter, die ihren Umzug ein Fest nennen.

„Wir wollen an die Herzen der hier in Deutschland lebenden Menschen appellieren, Vorurteile abbauen und dafür eine interkulturelle Brücke zwischen Deutschen, Türken und anderen Nationen aufbauen.“ Veranstaltet wird der Event von konservativen türkischen Vereinen, begleitet von einigen sozialdemokratischen Verbänden, die kaum Zugang zu den türkischen Migranten haben. Auch EATA, ein Zusammenschluss türkischer Yuppies in Europa, ist dabei.

Demonstriert werden sollen der Zusammenhalt der in Deutschland lebenden Türken und der Wunsch nach einem „friedlichen und freundschaftlichen Miteinander“ mit der deutschen Bevölkerung.

Doch bereits in der Vorbereitungsphase sorgte der Marsch für eine Spaltung in der türkischen Gemeinde. Viele fragen sich, wie mit einer osmanischen Militärkapelle und der so genannten „Schwerter- und Schilder-Truppe“ friedliche Absichten zu demonstrieren seien. Yüksel Özdemir, der Vorsitzende des Alewitischen Kulturzentrums in Berlin, weist auf die Teilnahme rechtsextremistischer und islamistischer Gruppen im vergangenen Jahr hin: „Wie können wir mit den Verantwortlichen mehrerer Pogrome gegen die Alewiten in der Türkei zusammen marschieren?“

Tacettin Yatkin kennt diese Probleme. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde zu Berlin e.V., die zu den Organisatoren zählt, meint, dass 600 Ordner das Zeigen jeglicher politischer Transparente und Fahnen verhindern werden. Um dem Vorwurf, es würden hauptsächlich türkische Fahnen geschwenkt werden, schon im Vorhinein zu begegnen, hat er jeweils 7.500 türkische, deutsche und EU-Fahnen bestellt: „Alle sind gleichberechtigt“, freut er sich. Yatkin beteuert, dass osmanische Militärkapellen nicht auftreten werden: „Extremistische Organisationen wie die Türkische Föderation oder Milli Görüs durften im Organisationskomitee nicht mitarbeiten“, sagt er.

Für Kritiker kaum ein Trost. Ein türkischstämmiger deutscher Politiker, der seinen Namen nicht nennen möchte, bedauert, dass am Zug zehntausender türkischer Migranten die kulturelle und ethnische Vielfalt Anatoliens, trotz allgemeiner Beteuerungen, nicht ersichtlich würde, denn „die nationale Fahne, die Nation und das Vaterland“ stünden einfach im Vordergrund.

Der türkische Botschafter Osman Korutürk nimmt die Veranstaltung in Schutz: „2,5 Millionen Türken haben sich in diesem Land ausgezeichnet integriert. Aber sie haben ein schlechtes Image. Das soll verbessert werden.“ Den Vorwurf, Ankara stecke dahinter, weist der Botschafter zurück: „Wenn wir es organisieren würden, dann kämen nicht so viele!“ Tatsächlich aber helfen die Botschaftsangestellten bei der Organisation. Viele Migranten nehmen die Diplomaten als „neutrale Figuren“ wahr, das lässt Bedenken verstummen.

Safter Cinar, Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB), erklärt, warum der TBB selbst nicht mitmacht: Wenn es ein Fest auf einer Wiese wäre, wäre man dabei gewesen. Der Marsch aber „sieht wie ein Muskelspiel aus“.

„Aktionen, die im Widerspruch zu hiesigen Werten stehen, sind nicht akzeptabel“ meint ein türkischer Sozialdemokrat. „Aber diese Menschen werden jeden Tag von den Deutschen wegen ihrer kulturellen Identität kritisiert. Einmal im Jahr wollen sie diese Identität öffentlich verteidigen.“ CEM SEY