Ein Terminator mit anderem Geist

Vor einem Jahr ernannte der rot-rote Senat Dieter Glietsch zum Polizeipräsidenten von Berlin. Die Hauptstadtpolizei beherrscht seither ein Klimawechsel, der sich in dem Bekenntnis ausdrückt: Das beste Einsatzmittel ist die Sprache. Glietsch hat diesen Wandel befördert, er ist nicht sein alleiniger Verdienst

Glietsch: „Für Konservative ist Deeskalation ein Kampfbegriff“

von PLUTONIA PLARRE

Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können, als die Polizeiführer Michael Knape und Alfred Markowski im parlamentarischen Innenausschuss das Wort ergriffen. „Es war unsere Entscheidung. Es gab keine politische Vorgaben“, wies Knape die Behauptung von CDU und Polizeigewerkschaften zurück, die Polizei sei von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) am 1. Mai zur Deeskalationsstrategie gezwungen worden. „Zu der Strategie stehen wir, in guten wie in schlechten Zeiten“, stellte der Vizechef der Schutzpolizei, Markowski, der den Großeinsatz geleitet hatte, klar. Ihm und Knape zu unterstellen, gegen die eigene Überzeugung gehandelt zu haben, sei „ehrenrührig“. „Das funktioniert heute nicht mehr so“, entrüstete sich Markowski.

Die Szene, die sich vor zwei Wochen abspielte, illustriert, dass in die Hauptstadtpolizei ein anderer Geist Einzug gehalten hat. Der mit dem Regierungswechsel einhergehende Wandel kommt nicht von ungefähr.

Heute vor einem Jahr trat der frühere Inspekteur der Polizei von Nordrhein-Westfalen, Dieter Glietsch, das Amt des Berliner Polizeipräsidenten an. „Das beste Einsatzmittel zur Konfliktlösung ist Sprache.“ Oder: „Zurückhaltung ist keine Schwäche, sondern intelligente Deeskalation.“

Sätze wie diese hatte man unter Glietschs Vorgänger, Hagen Saberschinsky, nie auf einer Pressekonferenz gehört. Und unter Körtings Vorgänger, CDU-Innensenator Eckart Werthebach, wäre es gänzlich unvorstellbar gewesen, dass Polizeiführer im Innenausschuss Erklärungen abgeben, die über die nackte Schilderung eines Einsatzablaufs, der Festnahme- und Verletztenzahlen hinausgehen. Nicht nur vor der Presse, auch gegenüber Abgeordneten versuchte Werthebach, seinen Untergebenen den Mund zu verbieten, was ihm den Spitznamen „Maulkorbsenator“ einbrachte.

Wenn es nach der CDU ginge, wäre das bis heute so: „Das war hart an der Grenze“, kommentiert der innenpolitische Sprecher der CDU, Frank Henkel, den Auftritt von Knape und Markowski. Als Polizeibeamte unterlägen sie dem Neutralitätsgebot. „Solche Äußerungen stehen ihnen nicht zu.“

Mit dieser Haltung stehen die Konservativen allerdings allein da. Nicht nur bei SPD, PDS, Grünen und FDP wird das neue Selbstverständnis der Berliner Polizei positiv registriert.

Unter Saberschinsky wäre es undenkbar gewesen, dass sich die Polizei öffentlich dazu bekennt, Fehler gemacht zu haben. Früher, erinnert der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats der Polizei, Uwe Hundt, habe die Devise gegolten: „Kritik in kleiner Führungsrunde ja, aber nach außen geben wir das nicht zu.“ Er rechne es Glietsch deshalb „hoch“ an, dass der nicht nur im kleinen Kreis gesagt hat, die Polizei habe am 1. Mai handwerkliche Fehler gemacht, sondern auch vor der Presse.

In seiner Antrittsrede vor einem Jahr hatte Glietsch gesagt, er wünsche sich eine weltoffene, bürgerfreundliche Polizei, die nicht kleinlich an der falschen Stelle agiere, die wisse, wo sie mit Nachdruck und Konsequenz tätig werde müsse, die aber auch in der Lage sei, Großzügigkeit und Toleranz walten zu lassen. Glietsch hat die Öffnung der 25.000 Mitarbeiter zählenden Behörde befördert, aber sie ist nicht sein alleiniges Verdienst. Dass ein anderer Geist Einzug gehalten hat, war im Vorjahr erstmals spürbar, als die Polizei bei den 1.-Mai- und den großen Anti-Bush-Demonstrationen durch eindrucksvolle Zurückhaltung glänzte.

Damals war Glietsch erst wenige Tage in Berlin, die Schutzpolizei wurde noch von Gernot Piestert geleitet. Der politische Klimawechsel, vor allem das Engagement des Politologen Peter Grottian (FU Berlin) hätten die Polizei ermutigt, andere Wege zu gehen, hatte Piesters Erklärung damals gelautet.

Nicht zu vergessen ist aber auch Polizeivizepräsident Gerd Neubeck, der die Behörde nach Saberschinskys Abgang acht Monate lang kommissarisch leitete und in dieser Zeit bereits die Weichen in Richtung Öffnung gestellt hatte. Er habe den von Neubeck eingeschlagenen Weg nur fortgesetzt, gibt sich Glietsch bescheiden. „Ich bin in der Behörde auf eine große Bereitschaft gestoßen, auch mit kritischen Dingen offensiv in die Medien zu gehen.“

Es ist kein Geheimnis, dass Neubeck selbst gern Polizeipräsident geworden wäre. Er war der Wunschkandidat der Behörde und hatte als aussichtsreichster Bewerber gegolten. Aber dann hatte Glietsch überraschend das Rennen gemacht. Die Opposition zimmerte daraus den Vorwurf, er habe nur wegen seines SPD-Parteibuches den Zuschlag bekommen. Auch die zahlreichen Skeptiker innerhalb der Polizei fühlten sich zunächst in ihrer Ablehnung bestätigt.

Das Tempo, mit dem der wie der nette Onkel von nebenan aussehende Glietsch zu Werke schritt und eine grundlegende Neuordnung der Führungsstruktur ankündigte, brachte ihm in den ersten Monaten seiner Amtszeit Spitznamen wie „Vollstrecker“ und „Körtings Terminator“ ein.

Ein Jahr später gibt es in der Polizei zwar immer noch Leute, die finden, Glietsch sei menschlich eiskalt, kaum von seiner Meinung abzubringen und reflektiere seine Entscheidungen allein vor dem Spiegel seiner Erfahrungen in NRW. Und es gibt Menschen, die ihm die Lorbeeren für sein Eintreten für die Deeskalationsstrategie nicht gönnen. Das mit der Deeskalation sei alter „Wein“, der von Glietsch nur in neuen Schläuchen verkauft werde. Solche Stimmen wiegen eher gering gegen das viele Lob für Glietschs Linie der Offenheit und Transparenz.

Glietsch sagt, er habe nie bestritten, dass die Berliner Polizei auch schon früher Deeskalation praktiziert habe, was im Übrigen ein uralte Regel der Polizei sei. Der Begriff als solcher sei jedoch verpönt gewesen, denn bei seinem Amtsantritt hätten die Polizeiführer stets vom „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ gesprochen.

„Das lag wohl an der politischen Führung“, glaubt Glietsch. „Für die Konservativen ist Deeskalation ja bis heute ein Kampfbegriff.“ Er habe sich in den Führungsrunden dafür eingesetzt, das Kind wieder beim richtigen Namen zu nennen.

Die Frage, wer oder was der Berliner Polizei ein neues Selbstverständnis eingehaucht hat, sollen andere beantworten. Das Ergebnis ist, was zählt. Eine so kommunikationsfreudige Polizei wie am 1. Mai habe er in Berlin bisher noch nie erlebt, hat der PDS-Innenpolitiker Udo Wolf beobachtet. Die Polizei sei bei den Kreuzbergern auf dem besten Weg, aus dem Feindbild der knüppelschwingenden Staatsmacht herauszutreten. Auch das selbstkritische Einräumen von Fehlern, so Udo Wolf, „schafft Vertrauen bei der Bevölkerung“.

Auch der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, teilt die Freude über die Veränderungen. Er erinnert aber daran, dass neben Deeskalation und Offenheit auch andere Fragen auf der politischen Tagesordnung stünden: nämlich der Abbau sozialer Errungenschaften, der noch manche Sprengkraft berge. In Zeiten wie diesen Polizeipräsident zu sein „setzt ein gehöriges Maß an Fingerspitzengefühl voraus“.

Fingerspitzengefühl haben kann nur, wer Kontakt zur Basis hat. Und den sucht Glietsch, wann immer er kann. Seit er im Amt ist, hat er bereits zwei Drittel aller Dienststellen kennen gelernt. Bei den Besuchen sorgte er schon für manche Überraschung, indem er eine Stunde früher als angemeldet kam und sich zu einem Plausch zu den Leuten auf die Wache setzte. Auch das unterscheidet ihn von seinem Vorgänger.

„Saberschinky“, erinnert sich ein Eingeweihter, „ist immer mit einem ganzen Rattenschwanz gekommen, wenn die Blümchen schon auf dem Tisch standen und die Gesprächspartner ausgesucht waren. Dann hat er drei Fragen gestellt. Und weg war er.“