Das Phänomen Wichmann

Er ist ehrgeizig wie Roland Koch und knallhart konservativ wie Friedrich Merz: Was hat Herr Wichmann von der CDU in der taz verloren? Seine Rubrik war der institutionalisierte Kulturbruch

Die Rubrik von Herrn Wichmann knüpft durchaus an alte taz-Traditionen an

von PATRIK SCHWARZ

Neulich war der Wahlkämpfer Wichmann von der CDU eingeladen bei einer Runde junger Berliner Wahlkämpfer von der SPD. Gemeinsam waren die Genossen im Kino gewesen, hatten den Dokumentarfilm über ihren Gast und seinen vergeblichen Kampf um ein Direktmandat bei der Bundestagswahl gesehen, nun wollten sie ihn in die Mangel nehmen. Doch das Fazit fiel überraschend einstimmig aus: „Uns geht es doch genauso!“

Es überwog die Solidarität der Sozis mit dem CDU-Mann, der am Infostand „frischen Wind für Brandenburg“ fordert – während ihm die frische Uckermärker Brise in einem fort den Sonnenschirm umbläst. „Herr Wichmann von der CDU“ könnte genauso durch „Herrn Eiermann von den Grünen“ oder „Frau Schmipfke aus der SPD“ ausgetauscht werden, meint auch Marathon-Wahlkämpfer Norbert Blüm. Wichmann steht längst für den Wahlkämpfer an sich – zu Unrecht, denn der 25-jährige Merkel-Verehrer, Kohl-Bewunderer und Medienpolitiker des Jahres ist eine besondere Marke, selbst innerhalb der CDU.

Manche halten ihn für den Donald Duck der deutschen Politik, liebenswert, ein wenig tölpelig, und eine notorische Verlierertype. Doch der Schein trügt. In seinem Ehrgeiz ist er unbändig wie Roland Koch, in vielen Ansichten so knallhart konservativ wie Friedrich Merz. Von der Schwulenehe hält er nichts, auf Speisekarten vermisst er deutsche Hausmannskost, Zuwanderung will er begrenzen und von der Nationalhymne sagt er: „Warum soll man nicht das Deutschlandlied anstimmen, wenn es den Leuten gefällt und Spaß macht? Das ist doch eine schöne Sache.“

Darüber kann man lachen, weinen oder sich aufregen. Die taz hat ihn jedenfalls ernst genommen. Nicht als Filmstar, sondern als Kreistagsabgeordneter aus der Brandenburger Provinz hat er in seiner Rubrik „Was sagt Herr Wichmann?“ sechs Wochen lang die Welt erklärt. In einer Zeitung wie dieser war er der institutionalisierte Kulturbruch.

Dabei knüpfte seine Rolle durchaus an taz-Traditionen an: der Blick von der Provinz auf die Metropolen gehört dazu, auch die Frage, was ankommt im Alltag der Bürger von den Diskursen der Weltpolitik („Mit Saddam geht es zu Ende – was denkt die Uckermark?“) sowie das tägliche Urteil eines kleinen Parteimitglieds über die große Vorsitzende: Und, wie schlägt sich Frau Merkel heute? Im Übrigen steht die taz seit langem an der Seite der Schwachen, und zu denen gehört ein 21-Prozent-Kandidat in einem 70-Prozent-roten Wahlkreis alleine schon rechnerisch.

Nicht zuletzt bot Herr Wichmann Aufklärung. Während die Widersprüche linker Lebensführung taz-Lesern bekannt sein dürften, führt Wichmann die Schwierigkeit vor Augen, konservativ zu sein: Das deutsche Unisystem findet er zu lasch, räumt aber ohne Umstände ein, dass er ohne die Freiräume im System kaum nebenbei im Kreistag sitzen und an seiner politischen Karriere werkeln könnte. Ähnlich verhält es sich mit seinem Privatleben. Herr Wichmann ist zwar ein entschiedener Verfechter des Instituts der Ehe, lebt aber selbst in „ungeordneten Verhältnissen“, wie das wohl zu Adenauers Zeiten geheißen hätte. Obwohl Tochter Cosima längst auf der Welt ist, fehlt der Trauschein im Hause Wichmann bisher, weil „es auch zeitlich einfach nicht ging mit dem Heiraten“. Es ist der Clash von konservativem Anspruch und konfuser Wirklichkeit.

Die Komik wie der Erfolg des Herrn Wichmann von der CDU rühren freilich von einem Rätsel: Merkt er nicht, wenn die Kinogänger über ihn lachen? Oder nimmt er kühl kalkulierend ein bisschen Lächerlichkeit in Kauf – als Preis dafür, schon jetzt der bekannteste Brandenburger Christdemokrat nach Jörg Schönbohm zu sein?

Weder noch. An Ehrgeiz steht Wichmann westdeutschen Polit-Yuppies in nichts nach. Was ihn unterscheidet, ist sein ungerührtes Verhältnis zur Öffentlichkeit: Er müht sich, so gut es geht – und Schluss. Was schief geht, geht schief. Wem was nicht schmeckt, der kann’s ja sagen. Der Ostdeutsche Wichmann hält es da mit Angela Merkel, die ihre Haare trägt, wie es ihr passt. Ich habe nicht 1989 die Freiheit erlangt, sagt die CDU-Chefin, um mir heute vorschreiben zu lassen, mit welcher Frisur ich herumlaufe. Dieselbe Haltung verleiht auch Herrn Wichmann eine Coolness, der selbst die adrette Wohlerzogenheit nichts anhaben kann, mit der er von seinen Wahlplakaten blickt.

Der Mann hat auf alles eine Antwort – aber nicht für alles ein Gespür. Manche seiner Einlassungen schrammen haarscharf an der Grenze des Vertretbaren vorbei. Am schmuddeligsten wird es, wenn er am Wahlkampfstand dem vorbeiflanierenden Ausländerfeind versichert, die CDU sei ja auch gegen das Zuwanderungsgesetz. „Mehr kann man in so ner Situation nicht machen, und mehr kann man von einem 25-Jährigen nicht verlangen. Ich bin nicht der liebe Gott“, sagt Henryk Wichmann dazu. „Die Mimikry des Wahlkämpfers ist eine Form freiwilliger Selbstverstümmelung“, sagt Norbert Blüm. Die Betonung liegt auf freiwillig.