Wer sagt, dass nur Jungvolk ein Recht aufs Popdebut hat? „Beckenrand“ und „High Quality Girls“ in der Tanzhalle
: Alter vor Schönheit, notfalls muss eben die Strumpfmaske her

1.: Pop ist eine Frage der Selbstinszenierung. 2.: Pop ist ein diffuses Codegemisch. 3.: Pop steht für Jugendstil.

Die ersten beiden Punkte dürften heute Abend in der Tanzhalle St. Pauli optisch und akustisch bewiesen werden, das letzte dagegen erfährt vermutlich seine nachhaltige Widerlegung. Wenn die zwei Jungsbands Beckenrand und High Quality Girls, beide aus Hamburg-Mitte, ab 21 Uhr die Bühne des Kiezclubs besteigen, stehen da insgesamt fünf Herren teils deutlich jenseits der 30 hinter den Instrumenten. Und sie spielen Stücke ihrer jeweils ersten Platte.

Ein Abend voller Widersprüche. Ein Abend mit Schönheit, die mehr von innen kommt, mit Videoclips und frühzeitigem Sauerstoffmangel. Beckenrand, das sind Beatmaster Dude, O. T. Overdrive und Winni W. Nühl. „Drei einfache Hamburger Jungs, die sich beim Frei- und Fahrtenschwimmen kennen gelernt haben“, übt sich Bassist O. T., der eigentlich ganz anders, nämlich Olaf Nierhaus heißt, genregemäß in popkultureller Mythenbildung.

Alles Lüge. Kennen gelernt haben sich die drei ohne Zweifel in der popkompatibelsten aller Hamburger Schreddelkneipen – in der Egalbar im Karoviertel, dem El Dorado erster Stehversuche am Plattenteller. Seither machen sie ehrliches deutschsprachiges Gitarrenrockpopgeschrammel (Verzeihung...) irgendwo zwischen Tomte und Boxhamsters. Mit ehrlichen Texten, ehrlichen Tempowechseln und ehrlichen Viervierteltakten.

Das erheitert und entspannt. Auf „Der Erste Köpper“, entstanden im bandeigenen Label bioTakt, pflanzen sie „einen Schmusebaum im Garten“, starten ihr „Mokick“, erfreuen sich an „Bombenteppichwiesen“ und integrieren Fußballsprechchöre vom Millerntor. So ist das in der Posthamburgerschule: Man leugnet deren Existenz, bedient sich ihrer Methoden und ist weiterhin wahnsinnig nett zueinander. Das klingt gefällig und wirkt live belebend wie Nandrolon.

Gefälligkeiten und Erfrischungen, ungezwungene Heiterkeit und drogenfreie Belebung – für die High Quality Girls (siehe Foto) sind das alles rote Tücher. Ihre Köpfe heißen (tatsächlich) Micha und Alan und ihr Ziel ist das so vieler Elektrofrickler mit Saiteninstrumentunterstützung: „We kill Rock‘n‘Roll just to rescue him“. Etwas Anglophilie muss erlaubt sein – Gitarrist Alan kommt schließlich aus den Industriebrachen Nordenglands.

Auch die maskulinen Qualitätsmädchen verstehen das Spiel der Zeichen vortrefflich. Sie treten nur mit kaputten Strumpfmasken und sonderbaren Hosen auf und können sich nie zwischen Melancholie und Euphorie entscheiden. Sie pflegen HipHop-freien Sprechgesang mit Drumcomputer, Keyboard, Plastikspielzeug und haben in Form von „Keine Heimat“ (Ideal) die vielleicht beste Coverversion der Musikgeschichte im Repertoire. Außerdem sorgen sie bei ihren regelmäßig stattfindenden Wesley-Willis-Gedenk-Karaokeshows schon mal dafür, dass sich sozial schwächere Menschen einen Fernseher ersingen. Das Leben im Abseits kann so schön sein.

High Quality Girls on stage – da landen die Codes unterm Stabmixer zweier moderner Existenzialisten um die 40, dass es nur so quirlt. Ihre Mission ist die Negation, Erfolg ist scheiße, und um ihre erstes 10‘‘-Vinyl beim Hamburger Label Fidel Bastro zu realisieren, verkaufen sie seit Wochen eine Art Optionsschein für den Kauf. In ein paar Wochen kommt sie raus. Auch dies also ein Grund, die Tanzhalle aufzusuchen. Auch wenn Beckenrand mit den High Quality Girls so viel gemeinsam haben wie mit, sagen wir, Def Leppard. Oder doch – ein Parallele gibt es zu den Bombastrockern aus den USA. Aber die Frage kann man nur beim Livekonzert klären. Nur zu, es lohnt sich. Jan Freitag

Heute, 21 Uhr, Tanzhalle