Die ewige Landkommune

Wider Erwarten großartig: Die Hippie-HipHopper Arrested Development feierten nach fast zehnjähriger Pause im ausverkauften Quasimodo ihre Wiederauferstehung

Es gibt gute Gründe, den Rapper Speech für einen recht unerträglichen Zeitgenossen zu halten

Man könnte die Geschichte des HipHop auch als eine Geschichte von Organisationsformen erzählen. Angefangen bei den Straßengangs, aus denen B-Boy-Crews wurden, und den Jungs, die aus den etwas besseren Vierteln stammten und den Code der Straße annahmen, könnte man den Bogen spannen über jene Crews, die sich als politisch militante Gruppen stilisierten, bis hin zu den Posses, die sich wie Mafia-Familien organisieren. Am Ende würde man in der Gegenwart, beim derzeit populären Modell des Großkonzerns, ankommen. Mal waren diese Posen in der Lebenswirklichkeit der Crews verankert, mal wurde nur mit ihnen gespielt: Doch fast immer standen sie in einem Verhältnis zu Macht und Gewalt.

Arrested Development bilden eine der wenigen großen Ausnahmen. 1991 waren sie auf einmal da. Sie kamen nicht nur aus dem HipHop-mäßig noch überhaupt nicht erschlossenen Süden der USA, aus Georgia, sie wiesen auch einen anderen Hintergrund auf als alle anderen Rapper neben ihnen: Sie lebten in einer Landkommune. Ganz hippiemäßig war sie von Todd Thomas begründet worden, der als Rapper namens Speech auch im Mittelpunkt der Band stand. Fast zwanzig Leute gehörten dazu, Musiker, Rapper und Tänzer und ein über 60-jähriger Spiritual Advisor. Vier Millionen Platten verkaufen sie von ihrem Debüt.

So schnell sie aufgetaucht waren, so schnell verschwanden Arrested Development auch wieder. Im Nachhinein kam es einem so vor, als sei unter ihrer Fahne ein letztes Mal die große Schlacht der Gutmenschen im HipHop gegen die bösen Jungs geschlagen worden, zumindest auf der Ebene des Mainstream-Erfolgs. „Freedom“ sagen gegen „Fuck“ sagen: Die Männer mit den großkalibrigen Handfeuerwaffen gewannen bekanntlich.

Vielleicht ist ihnen das Beharrungsvermögen von Überzeugungstätern eigen, jedenfalls sind Arrested Development wieder da. Kommenden Monat wird ein neues Album erscheinen. Und, was fast noch erstaunlicher ist: Ihr Konzert am Dienstagabend im Quasimodo war nicht nur restlos ausverkauft, es war auch großartig. Man muss Speech zwar nicht mögen – es gibt genug Gründe, ihn für einen ziemlich unerträglichen Zeitgenossen zu halten, dessen Predigertum und ständiges Verweisen auf das Gute im Menschen mächtig nervt. Aber eines kann man ihm nicht vorwerfen: dass er ein schlechter Rapper wäre.

Zu sechst traten Arrested Development auf die Bühne. Speech hatte eine Sängerin, eine Tänzerin, einen DJ, einen Gitarristen und einen Bassisten dabei – keinen Schlagzeuger. Tatsächlich kam gut ein Drittel aller Stücke ganz ohne perkussives Element aus und wurde rhythmisch von wenig mehr zusammengehalten als der Präzision von Speechs Reimfluss.

Musikalisch verfolgen Arrested Development das gleiche Konzept wie eh und je: Sie bauen den Funksound von Sly & the Family Stone unter den Bedingungen von HipHop nach. Dass dies im Quasimodo so umwerfend gut funktionierte, lag allerdings auch am Publikum und daran, dass die meisten der Anwesenden schwarze Musik schon ein paar Tage länger kannten. Aber dass ein gesamter Saal komplizierte Klatschrhythmen ohne Probleme nachvollziehen und dann auch noch unaufgefordert den Refrain von Sly Stones „Everyday People“ mitsingen kann, das hat man nicht alle Tage. Nach mehr als zweieinhalb Stunden wurde man mit einem freundlichen „Power to the People“ in die milde Nacht geschickt.

TOBIAS RAPP