AFGHANISTAN: USA BRAUCHEN DEMOKRATIE NUR BIS NOVEMBER
: Kabul statt Bagdad

Was in Kabul längst die Spatzen von den Dächern pfeifen, hat nun Afghanistans Präsident Hamid Karsai erstmals offiziell gemacht: Der Termin für die im Juni geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ist aus organisatorischen und Sicherheitsgründen unrealistisch. Dass Karsai dies anlässlich des Besuchs von US-Außenminister Colin Powell öffentlich andeutete, hat einen einfachen Grund: Die USA sollen zahlen. Präsident George W. Bush braucht die Wahlen am Hindukusch, um den Kampf gegen den Terror im eigenen Wahlkampf als Erfolg verkaufen zu können. Und der Urnengang ist umso nötiger, seit die US-Politik im Irak in täglichen Anschlägen und religiösen Spannungen feststeckt.

Auch Karsai ist am Juni-Termin interessiert. Seine größte Machtstütze sind nach wie vor die USA und Kabuls internationale Friedenstruppe Isaf. Innenpolitisch ist Karsais Machtbasis dünn und die Legitimation durch zwei manipulierte Ratsversammlungen nicht überzeugend. Eine Direktwahl der Bevölkerung, womöglich noch bevor es ernst zu nehmende Gegenkandidat gibt, wird Karsai nützen. Abgesehen davon entspricht der Juni-Termin dem Zeitplan der Bonner Afghanistan-Konferenz. Ein Abweichen davon wäre ein Eingeständnis der Probleme und ein Zeichen von Schwäche.

Um den Juni-Termin zu halten, wird daran gedacht, die Abstimmungen über Präsident und Parlament zu trennen. Doch bei einer zuerst stattfindenden reinen Präsidentenwahl könnten viele Fraktionen nicht eingebunden werden, was Karsais Legitimation schaden würde. Seine jetzige Andeutung ist deshalb ein Hilferuf an die USA und die internationale Gemeinschaft, dass sie ihn stärker unterstützen sollen. Karsai muss fürchten, dass Washington nach den US-Wahlen das Interesse an ihm und seinem Land verliert – das Zeitfenster wird sich wohl im November schließen. Auch dürfte er die internationale Gemeinschaft im Blick haben, die Ende März in Berlin ihre künftige Afghanistan-Politik koordinieren will. Dies ist die letzte Chance, den ehrgeizigen Juni-Termin noch zu retten. SVEN HANSEN