Öko-Pillen auf Rezept

Kassen übernehmen Kosten für homöopathische Mittel in Ausnahmefällen. Nun bangen Homöopathen um ihre Zunft – und wollen in Karlsruhe klagen

AUS BERLIN COSIMA SCHMITT

Dienstag war ein Tag der gemischten Nachrichten für die Freunde alternativer Arznei. Stundenlang hatten Ärzte und Kassenvertreter gezaudert, gezweifelt, gestritten, am Abend aber lenkten sie ein: Homöopathische und anthroposophische Medikamente wird es doch noch auf Kassenrezept geben – wenn auch nur bei schweren Leiden.

Damit entschied der Gemeinsame Bundesausschuss aus Ärzten und Kassenvertretern eine der letzte Streitfragen der Gesundheitsreform: Welche rezeptfreien Arzneien übernimmt auch künftig die Kasse? Am liebsten hätte die Ärzte- und Kassenlobby alle Homöopathie aus der Kassenrechnung verbannt. Ihr Nutzen sei wissenschaftlich nicht belegt, sagte Rainer Hess, Vorsitzender des Ausschusses. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hingegen wollte die rot-grüne Klientel, unter ihnen viele Freunde der Naturmedizin, nicht verärgern – und setzte sich durch. „Patienten bekommen auch in Zukunft, was sie brauchen“, sagte sie gestern.

Den Anhängern der sanften Alternativmedizin half das Sozialgesetzbuch: Es schreibt vor, dass homöopathische und anthroposophische Medikamente gegenüber der Schulmedizin nicht benachteiligt werden dürfen. Vor einigen Wochen hatte das Gesundheitsministerium präzisiert, was es darunter versteht: Ein Mittel muss nicht von Schulmedizinern als wirksam bestätigt werden. Vielmehr genügt es, wenn es innerhalb der eigenen Therapierichtung anerkannt wird. Mit diesem Hilfsgriff wird es möglich, diese Präparate weiter auf Kassenkosten zu kaufen – wenn auch nur in einigen genau festgelegten Fällen.

Dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte reicht dieser Teilerfolg nicht aus. Die Liste habe bloß „Alibifunktion“, sagte ihr Sprecher Christoph Trapp gegenüber der taz. Sein Verein will nun vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klagen. Die Berufsfreiheit des Homöopathen sei gefährdet, so Trapp. „Die jetzige Regelung entzieht ihnen das Handwerkszeug. Wie will ein Homöopath arbeiten, wenn er nur ausnahmsweise mal eine Pille auf Kassenkosten verschreiben darf?“

Doch nicht nur Homöopathie-Freunde trifft die Gesundheitsreform: Ab dem 1. April muss der Kassenpatient fast jedes Medikament, das rezeptfrei über den Tresen geht, aus eigener Tasche bezahlen – selbst wenn der Arzt rät, genau dieses Präparat zu nehmen, weil es am besten wirkt. So verlangt es das Gesetz. Ausnahmen sind nur bei Kindern bis zwölf und entwicklungsgestörten Jugendlichen möglich – und in 36 Fällen, die der Ausschuss nun in der Liste definiert. Allesamt sind dies schwere Krankheiten, bei denen ein bewährtes Präparat zum Therapiestandard gehört: zum Beispiel Jodid für Schilddrüsenkranke und Aspirin für Herzinfarktpatienten.

Nur noch vier pflanzliche Mittel, die nicht homöopathisch oder anthroposophisch sind, werden künftig erstattet: Johanniskraut, das leichte Depressionen mindert, Gingko, das Dementen hilft, Flohsamenpektine gegen Darmerkrankungen und Misteln für Krebspatienten. Alle übrigen „rationalen pflanzlichen Medikamente“, wie Experten nachweisbar wirksame Natur-Präparate nennen, muss der Patient künftig selbst finanzieren.

Henning Fahrenkamp, Geschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie, kritisierte daher die neuen Regeln. Statt einzelne Medikamente aufzuführen, so Fahrenkamp, hätte der Ausschuss besser eine Liste von Krankheiten erstellen sollen, bei denen die Kassen alle Arzneien erstatten. Er ist sich sicher: „Das hätte wirklich Therapievielfalt und damit bessere Versorgung bedeutet.“

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