Wer hat die Deutungsmacht?

betr.: „Frieden kommt von unten“ von J. Hippler, taz vom 8. 12. 08

Auf Demokratie und Menschenrechte wird immer wieder gern zur rhetorischen Legitimierung einer von machtpolitischen Interessen geleiteten Außen- und Militärpolitik zurückgegriffen, darin kann ich Hippler durchaus zustimmen. Doch lässt sich Realpolitik einfach kraft besseren Wissens abschaffen? Ist ein regional angepasster Interventionismus die Lösung und fängt das eigentliche Problem nicht schon viel früher bei der Kategoriebildung an? Die Deutungsmacht darüber, welche Staaten als gescheitert oder zerfallen anzusehen sind, reklamieren westliche Staaten und ihre Sozialwissenschaftler für sich. Kaum mit analytischem Wert ausgestattet, eignet sich der „Gescheiterte Staaten“-Begriff vorzüglich für die ideologische Vorbereitung von militärischen Interventionen. Staaten werden zu Unorten erklärt, die auf Einmischung westlicher Regierungen angewiesen erscheinen. Dass der Krieg von oben kommt, wird durch diese Sichtweise systematisch ausgeblendet. Von der Kolonialzeit bis heute agiert der Westen als Verursacher von Armut, Gewalt und Destabilisierung. Wäre es daher nicht ebenso gerechtfertigt, wenn die angeblich gescheiterten Staaten vor dem Hintergrund ihrer historischen Erfahrung und der aktuellen globalen Wirtschaftskrise die westlichen Staaten als failed states bezeichnen?

CARSTEN GRÄBEL, Tübingen