Psychiatrie-Erfahrene fordern Menschlichkeit

Gestern veranstalteten die Grünen einen Psychiatriekongress – erstmalig kommen auch Betroffene zu Wort

DÜSSELDORF taz ■ Erstmalig wurde Menschen mit Psychiatrie-Erfahrungen ein Forum im Landtag geboten. Auf Initiative der Grünen fand hier gestern der Kongress „Weil der Mensch ein Mensch ist...“ zur Zukunft der Gemeindepsychiatrie statt. 350 PsychiaterInnen, Menschen, die schon einmal psychologische Hilfe in Anspruch genommen hatten und ihre Angehörigen, diskutierten über die Zukunft der Therapie. „Der Trialog ist wichtig“, sagt Barbara Steffens, sozialpolitische Sprecherin der Grünen. Verschiedene Blickwinkel seien bei der psychiatrischen Versorgung besonders wichtig.

In Nordrhein-Westfalen existieren 48 psychiatrische Krankenhäuser mit 14.000 Betten. Und NRW-BürgerInnen lassen sich immer häufiger therapieren beziehungsweise werden therapiert. Die Zahl der Klinikübernachtungen ist in den vergangenen fünf Jahren um 50 Prozent gestiegen.

Der Landesverband der „Psychatrieerfahrenen NRW“ möchte das gesellschaftliche Bild von Menschen in Krisen verändern. „Wir sind keine defekte Stoffwechselmaschine“, sagte der Vorsitzende Matthias Seibt. Eine Therapie müsse immer die Biographie und aktuelle Lebenssituation einbeziehen, wie zum Beispiel Trennungen, Arbeitslosigkeit oder Armut. „Wir wollen Angebote mit menschlicher Wärme und Zuwendung“. Besonders kritisch sieht der Verband die zwanghafte Vergabe von Psychopharmaka. Er fordert außerdem, in NRW eine unabhängige „Beschwerdestelle Psychiatrie“ einzurichten.

Vor zwei Jahren hatten die Grünen eine große Anfrage an den Landtag zur Psychiatrie gestellt. Damals wurde deutlich, dass die bisherigen Reformen in der Therapie immer ohne die betroffenen Menschen beschlosssen wurden – so entstand dieser Kongress. Die bisherigen Angebote weisen einen gravierenden Mangel auf: Sie berücksichtigen nicht die spezifischen Bedürfnisse von MigrantInnen, Wohnungslosen und Frauen. Dabei sind Frauen überdurchschnittlich betroffen: Nach einer Studie der Hamburger Psychologin Andrea Niedecken sind 72 Prozent der als „manisch depressiv“. Diagnostizierten Frauen, 62 Prozent der Nervenpatienten sind weiblich. „Bisher wurde nur für Männer über Männer geforscht“, sagt Marianne Hürten, frauenpolitische Sprecherin der Grünen.

Die konkreten Folgen des Kongresses dürften allerdings gering sein – eine Änderung des Gemeindepsychiatriegesetzes steht vorerst nicht an.

ANNIKA JOERES