PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: So. Und was trinkscht?

Emmi war die Großmeisterin einer ganz besonderen Münchner Geheimloge. Nachruf auf das „Gläserne Eck“

Dass sie mit Nachnamen Bauer heißt, weiß ich erst seit gestern. Bis dahin war sie halt Emmi. Man ging zu Emmi, man sagte „Hallo Emmi“, wenn man eintrat, und „Ciao Emmi“, wenn man wieder hinaustrat. Nur wenn man sich mit jemand treffen wollte, der noch nie dort gewesen war, gab man den richtigen Namen des Lokals an: „Gläsernes Eck.“

Um in München die Spreu vom Weizen zu trennen, genügte mir bislang immer die eine Frage: „Kennst du Emmi?“ Obwohl im Zentrum der Stadt, nicht weit von der teuersten Einkaufstraße und dem legendären „Schumanns“ gelegen, war Emmi nur einem bestimmten Menschentypus bekannt. Man verirrte sich nicht zu ihr, und nichts an der Fassade oder den Fenstern des unscheinbaren Eckhauses lockte den Gast hinein. Im Gegenteil: Die orange-gelb gemusterten Vorhänge signalisierten jedem Fremden, dass Emmi nicht auf neue Kundschaft lauerte. Und hätte jemand nur aus Versehen die Türe geöffnet, er hätte sich umgesehen und mit einem gemurmelten „Entschuldigung“ auf dem Absatz kehrtgemacht.

So sieht heute keine Kneipe mehr aus, und in München schon dreimal nicht: Resopaltheke, Tische und Stühle aus den 70er-Jahren, Plastikkörbchen mit Salz, Pfeffer, Maggi und einem Senftöpfchen mit Löffel. An den Wänden Stadtansichten. Manche glaubten, Emmi hätte mit einem Designer gesprochen, um ihr Lokal alt aussehen zu lassen, wie Lokale ausgesehen haben, als es noch egal war, wie Lokale innen ausgesehen haben. Dabei war alles viel banaler: Emmi hat einfach nichts mehr geändert, seit sie vor 40 Jahren das „Gläserne Ecke“ übernahm. In Werner Fassbinders Film „Katzelmacher“ hängen in der Kneipenszene dieselben Vorhänge, dieselben Bilder, dieselben Lampen an der Wand, die auch heute noch bei Emmi hängen.

Mich hatte ein guter Freund (und Ex-tazler) bei Emmi eingeführt. Die wiederum wurde ihm vom Kabarettisten Gerhard Polt vorgestellt. Wie dem Großmeister eine Loge wurden die neuen Gäste der Wirtin vorgestellt, die dann meist sagte: „So. Und was trinkscht?“ Das fragen andere Wirte zwar auch, aber weil Emmi von diesem ersten Moment an bei ihrem „So. Und was trinkscht?“ so milde, weise, wissend, ja monalisahaft lächelte, fühlte jeder sich bei ihr angekommen.

Alle Tische bei Emmi sind so gestellt, dass man von jedem Platz aus zumindest aus den Augenwinkeln die Tür im Blick hat. In einem Lokal, in dem vor allem Schauspieler verkehren, ist so etwas sehr wichtig. Einmal ging die Tür auf und Leander Haussmann in Hut und Mantel wehte herein. Er warf sich auf den Boden, wälzte sich ein wenig, stand auf und ging wortlos wieder hinaus, bevor Emmi ihn fragen konnte: „So. Und was trinkscht?“

Der Tisch rechts vom Eingang an der Wand war jahrelang von einem Stammtisch bekannter Karikaturisten belegt, der den seltsamen Namen trug: „Meinem Schwein fliegt der Hut weg.“ Aber hier wunderte sich niemand darüber. Weil der Hinterausgang der Münchner Kammerspiele direkt zu Emmi führt, ist sie zur Theaterkantine geworden, in der manche ihre Texte laut lernten, nur unterbrochen vom Schmatzen bei einer Bratwurst mit Kartoffelsalat. Selbst bei der Speisekarte weigerte sich Emmi, den Erfordernissen der Neuzeit entgegenzukommen. Bratkartoffeln mit Spiegelei, Schweinebraten natürlich und Milzwurst. Jeder wusste, dass Emmis Mann in der Küche stand und das Essen vorbereitete. Gesehen hat ihn in 40 Jahren selten jemand.

Mitten in jener Stadt und nur einen Steinwurf von den Orten entfernt, wo sich die Promis in Szene setzen, ist Emmi eine Oase der Unaufgeregtheit geblieben. Da sitzen „Tatort“-Kommissare neben Schafkopfspielern und Bühnendiven neben Bierausfahrern. Emmi hat sie alle mit demselben Lächeln gefragt: „So. Und was trinkscht?“

Vorgestern war kaum noch ein Platz zu bekommen, und heute wird es noch schwieriger werden. Heute ist Emmis letzter Tag, denn: Zu wird g’macht. Aus New York kam gestern eine E-Mail: „Unsere Schlupfwinkel werden immer weniger.“

Fragen zu Oasen? kolumne @taz.de Dienstag: Jenni Zylka über PEST UND CHOLERA