MAX!

Maximilian Mutzke ist grade von null auf eins in die Charts eingestiegen. Heute gewinnt er mit „Can’t wait until tonight“ den Vorentscheid zum Grand Prix Eurovision. Und das ist erst der Anfang

VON JAN FEDDERSEN

Woher nimmt er diese Sicherheit? Steht gestern früh auf der Bühne der Berliner Arena, erste Probe für seinen Grand-Prix-Auftritt. Sein Mentor Stefan Raab sitzt am Regiepult und diskutiert die Kamerawinkel. Max zeigt keine Aufregung, ruhig, seltsam gelassen steht er am Mikro und nutzt die Pause zu einer kleinen Percussionseinlage. Zu hören sind die ersten Takte seines Songs „Can’t Wait Until Tonight“. Singt schließlich, als das Band einsetzt, zwei Mal, drei Mal. Nie klingt es gleich, immer irgendwie besonders. Scherzt zwischendurch mit den Musikern auf der Bühne. Sagt zur Regie, die Boxen seien zu leise, dass er sich deshalb kaum höre. Arbeitsatmosphäre unter Routiniers.

Maximilian Mutzke ist aber gar kein Routinier in dieser Branche. Nicht im Fernsehen, nicht im Popgeschäft. Max, 22 Jahre, Schüler, angehender Abiturient, kann überhaupt noch nicht wissen, wie die Popwelt funktioniert. Aber, das ist sicher, über seine musikalischen Fähigkeiten weiß er Bescheid. Hin und wieder während dieser Probe schimmert durch, dass er diese Welt als neu erkennt. Das Publikum klatscht nach jedem Durchlauf seines Titels, angenehm irritiert von so wenig Aufhebens. Max sagt jedes Mal artig „Danke“.

Er ist der Favorit für den deutschen Eurovisionsvorentscheid – sein Song ist nicht nur seit Montag die Nummer eins in den Single-Charts, Max ist auch das ersehnte Dementi aller Alexanders, Küblböcks und Juliettes: Er hat jenes Charisma, das zunächst durch seine tatsächlich sensationelle Stimme zum Ausdruck kommt. Bewahrheitet – und das nicht schlecht – wird es durch sein Äußeres, das glaubwürdig und nahbar ist. Max sieht nicht aus wie ein Erotikstreber, so wie jener Alexander, er könnte ebenso gut ein Attac-Mensch sein. Oder einer, der nur Öko einkauft, und trotzdem Charme hat.

Seit einigen Stunden ist er erst in Berlin, tags zuvor saß er noch in der Schule. Kurz vor dem Abitur darf er keine Stunde verpasst werden. „Ich denke jetzt viel öfter an die Schule“, sagt er. Und das muss er wohl auch, denn eine vielleicht nur beiläufig getroffene Entscheidung hat sein Leben ziemlich auf den Kopf gestellt.

Diese Geschichte geht in der Erinnerung dieses Maximiliam Mutzke so: Im Dezember teilte Fernsehmoderator Stefan Raab (Pro7) seinem TV-total-Publikum mit, wer wolle, dürfe an einem Casting teilnehmen. Man müsse nur nach Köln kommen und einen Titel in einem eigens für diesen Zweck eingerichteten Container singen „Ich fand den Stefan sowieso schon cool, und ich dachte, bei dem geht es vielleicht um Musik, nicht ums Aussehen.“

Also hat er einen Freund angehauen, beide haben sich in ein Auto gesetzt und sechs Stunden später dann in jenem Container „Ain’t No Sunshine“ gespielt. Ausgerechnet. An diesem Lied haben sich viele probiert, manche sind allein an den verschleppten Tempi gescheitert. „Ich dachte, na, vielleicht kriegen wir ja einen Recall.“ Raab guckte derweil 3.000 Beiträge, verkürzt auf je zehn Sekunden durch. Wenn man ihn heute darauf anspricht, sagt er: „Als ich den Song von Max hörte, wusste ich sofort, dass der es drauf hat.“

Damit konnte Max nicht rechnen, denn bei den Bohlen-Castings auf RTL oder ähnlichen Shows – „nein, das war ein bisschen fragwürdig“ –, da sei es nie um Musikalität gegangen, sondern um „Krawall und so Sachen, Schuhe und Haare“.

Max sang also in der ersten Runde des Wettbewerbs „Ain’t No Sunshine“, nun solo – und entzückte die Jury mit Joy Fleming (vor Angetörntheit nur „affentittengeil“ ausrufend) und Thomas Anders („Was soll ich sagen? Du hast es“) – und Raab ja sowieso, der Max mag, weil „der auf ebenso unbekannte Sachen aus den Siebzigern abfährt wie ich, der kommt von der Musik, nicht von der Show, seine Stimme nutzt er als Instrument“.

So ging es Runde für Runde weiter, doch Glamourexperten vermuteten, dass irgendwann auch für einen Stimmakrobaten wie Max Schluss sein würde. Statt Flitterfummel trug er T-Shirts über der Jeans, und die Haare sind ohnehin für einen 22-jährigen ziemlich sehr gelichtet. Die Vorderzähne stehen etwas schief, das Gesicht sieht zunächst nur freundlich und angstfrei aus – und von metropoler Coolheit eher unangekränkelt. Kann man so einen Popwettbewerb gewinnen?

Max konnte – er siegte auch im Finale. Und wie: Raab hatte in dieser Sendung endlich das Liedausgegraben, den er dem Sieger fürs deutsche Grand-Prix-Finale geschrieben hatte. Es beweist einmal mehr, was Raab kann: ein schlichtes Poplied, nichts für die Freejazzgemeinde, aber für ein Publikum, das ein Lied schnell mögen muss. Eines, das sofort begehrlich scheint, keine Kompliziertheiten, die vom Mitsummen abschrecken.

Kurzum: eine Steilvorlage für Max, auf dass er aus dem Ding sein Ding macht. Es muss authentisch klingen, selbstverständlich, das ist die Marktlücke, die es im deutschen Popgeschäft zu füllen galt. Kein Pseudoglamour: „Substanz“, sagt Stefan Raab, „ist das Geheimnis.“

Um auf Max wieder zu sprechen zu kommen, was der frühere Provokateur und Pseudozyniker fast schwärmerisch tut: „Kopfstimme, Bruststimme, rasend schnell im Wechsel, sauber in den Höhen, perfekt im Timing.“ Das mag als die Rhetorik eines umsichtigen Mentors abgetan werden, aber Raab scheint wirklich berührt von diesem Typ, der seines Aussehens wegen fast nie den Schritt aus dem Landkreis Waldshut heraus gewagt hätte. Also noch mal und die Frage erweiternd: Kann das gar ein internationaler Star werden, wie Joy Fleming sagt? Kann Max, der als Sechsjähriger Matthias Reims „Verdammt, ich lieb dich“ sang, dessen Stimme von der Mutter erkannt wurde, der mit dem Großvater in den Wald zog, um Holz für die Heizung zu sammeln, und auch sonst eine zufriedene Kindheit in einem Haus mit achtköpfiger Familie verlebte, kann dieser Max den Hoffnungen der Popbranche Eigenes entgegensetzen?

Er sagt: „Meiner Familie erzähle ich nur das Nötigste. Wenn ich den erzählen würde, was alles momentan passiert, das wäre ja, als ob man einen Witz zum hundertsten Mal erzählt.“ Er hat in sich offenbar ein eigenes Tempo für das, was ihm gut tun würde. Das könnte seine beste Versicherung sein, den Bodenkontakt nicht zu verlieren.

Stefan Raab hat derweil fast schon vaterartige Sätze ausgestoßen. Ja, klar, „in Deutschland gibt es momentan nichts Besseres und international auch nicht“. Und gewänne er, dürfte Max selbstverständlich nach Istanbul. Aber dann müsse wieder die Ausbildung Vorrang haben. Bloß nicht die Schule aufgeben: „Sachte alles, sachte.“