Sanfte Verweigerung

Kaum Inszenierung nötig: Herman Melvilles „Bartleby, der Schreiber“ im Stuhllager des Thalia in der Gaußstraße

„I would prefer not to“ – Ich ziehe vor, es nicht zu tun. In „seltsam sanftem Tonfall“ verweigert der New Yorker Kanzleischreiber Bartleby zunächst seine Arbeit und schließlich sogar, das Hinterhofbüro seines Anwalt-Chefs zu verlassen.

Nun, ein gutes Jahrhundert nachdem Moby Dick-Autor Herman Melville die Geschichte seines Totalverweigerers zu Papier gebracht hat, schlurft der gealterte Anwalt (Markwart Müller Elmau) im Stuhllager des Thalia in der Gaußstraße auf und ab. Sanft wie ein Bärenopa krabbelt er auf einen umgekippten Sessel, lässt sich auf einen Kinderstuhl gleiten, klappt den Deckel seines Stehpults auf und zu. Dabei erzählt er mit warmer Stimme die Geschichte des stillen, blassen Aussteigers – Melvilles Geschichte. Märchenstunde im Dachkammerambiente. So lebendig, als hätte sich Bartleby leibhaftig hier zwischen den Möbelstapeln eingenistet, wie damals in seiner Kanzlei in der Wall Street.

Dort hatte der arbeitsmüde Schreiber „wie festes Inventar“ an seinem Schreibtisch gehockt, sich von Pfeffernüssen ernährt und außer seinem notorischen „I would prefer not to“ kein Wort gesprochen. „Er schien allein, absolut allein.“ Durch die leise Rebellion des Untergebenen fühlt sich der Anwalt „seltsam entwaffnet“ und „auf wunderbare Weise berührt“.

Es ist Bartlebys bemitleidenswerte Beständigkeit, mit der er sich gegen sinnlose Arbeitsvorgänge in der Industriegesellschaft auflehnt, die den Anwalt fasziniert. „Seine herrliche Ruhe machte ihn zu einer wertvollen Neuerwerbung. Das Band des gemeinsamen Menschseins zog mich unwiderstehlich in eine Schwermut hinein. Bartleby und ich teilten eine brüderliche Melancholie“, erzählt der Märchenonkel. Schlurft zum antiken Kühlschrank, zieht ein Buch heraus, Melvilles Bartleby, der Schreiber, und liest daraus vor.

Regisseurin Isabel Osthues bringt damit einen postmodernen Dreh in die Geschichte. Erzählstrategie ist hier auf einmal Thema, drauf gesetzt auf die Gefühlsknoten zweier Menschen, dran geklebt wie ein unpassendes Ersatzteil. Ebenso die Choreographie, die die Regisseurin dem Schauspieler aufdrückt: Brille auf, Brille ab, über Möbelberge klettern, unvermutet in der Waschkabine verschwinden. Melvilles Erzählung wie auch Müller-Elmaus Interpretation sind indes so stark, dass weniger an Inszenierung mehr gewesen wäre. KATRIN JÄGER

nächste Vorstellungen: 25.+ 28.5., 4.6., jeweils 19.30 Uhr, Thalia in der Gaußstraße