Projekt Titelverteidigung auf Eis

Eine gute Statistik ist nicht alles: Die Footballer von Thunder Berlin vergeben drei Möglichkeiten zum Touchdown und verlieren 20:23 gegen die Barcelona Dragons. Die Chancen, das World-Bowl-Finale zu erreichen, sind nur mehr theoretischer Natur

von THOMAS WINKLER

Kurz nach dem Abpfiff, die 20:23-Niederlage von Berlin Thunder stand fest und damit das Ende aller Endspielambitionen, gruppierten sich zwei Berliner Spieler mit zweien ihrer Gegner von den Barcelona Dragons auf dem Rasen des Olympiastadions zum Erinnerungsfoto. Bizeps wurden angespannt, Zähne gebleckt, Fotos geknipst: Der Urlaub hatte begonnen.

Ja, nach der fünften Niederlage im siebten Spiel war es das dann wohl mit der Titelverteidigung in der NFL Europe, bestätigte Manager Michael Lang stumm nickend, war aber schnell wieder der gewohnt eloquente Positivist: „Dann werden wir halt in drei Wochen noch mal hier im Olympiastadion gewinnen.“ Dann, zum Abschluss der Saison, könnte, glaubt allerdings Trainer Peter Vaas, womöglich doch noch eine minimale Chance bestehen, dass Thunder das Endspiel, die World Bowl, erreicht.

Dazu allerdings müssten die letzten drei Spiele allesamt gewonnen und der Rest der Liga ganz im Sinne der Berliner spielen. „Ich weiß, es ist eher unwahrscheinlich“, so Vaas, „aber wenn es noch eine kleine Chance geben sollte, dann werden wir sie nutzen.“

Daran jedoch ließ einen das gerade beendete Spiel zweifeln. Denn die Durchhalteparolen wären gar nicht erst nötig gewesen, hätte Thunder seine reichlich vorhandenen Chancen gegen die Dragons genutzt. Am Ende hatte man ein deutliches Übergewicht in allen wichtigen Statistiken, aber stand mit leeren Händen da, weil in entscheidenden Situationen der letzte Pass nicht ankam oder das letzte Yard nicht überwunden werden konnte. So fiel die Entscheidung in den ersten fünf Minuten des letzten Viertels, als zwei hervorragende Drives von Thunder bis kurz vor die Endzone der Gäste führten, aber nur mit einem einzigen Fieldgoal durch Axel Kruse belohnt wurden: Statt 14 möglichen Punkten nur drei, statt einer beruhigenden Führung nur der Ausgleich.

Den anschließenden Ballbesitz nutzte Barcelona zum schlussendlich entscheidenden Fieldgoal. Wer drei Mal hintereinander den Ball aus weniger als einem Yard Entfernung nicht in die Endzone bringt, meint Lang, der hat den Sieg dann wohl nicht verdient: „Keine Entschuldigungen.“

Gerade davon aber hätte man bei Thunder ausreichend zur Verfügung. Das Projekt Titelverteidigung wurde von Anbeginn durch schier unglaubliches Verletzungspech torpediert. Nachdem zu Beginn der Saison die Verteidigung immer wieder dezimiert wurde, litt zuletzt der Angriff: In der vergangenen Woche verletzten sich Quarterback Henry Burris, für den die Saison beendet ist, und Sean Scott, der bislang beste Passempfänger, der mindestens zwei Wochen ausfällt.

Die ständigen Umbesetzungen trugen dazu bei, dass Thunder wie schon in den Jahren zuvor mit einer Niederlagenserie die Spielzeit begann. Der Umzug vom heimeligen Jahn-Sportpark ins Olympiastadion geriet so im Verlaufe der Saison zum Trauerspiel. Am Samstag fanden sich denn auch nur 11.766 Zuschauer unter dem neuen Dach und blickten auf das gähnende Baustellenloch in der Gegentribüne. Das liegt zwar nur unwesentlich unter dem von Lang avisierten Schnitt von 12.000, aber immer noch weit entfernt von den 16.312, die sich hoffnungsfroh zum Saisonauftakt eingefunden hatten. „Wir haben ein sportliches und ein wirtschaftliches Ziel“, erklärte Lang, nachdem fest stand, dass der erste Teil dieser Vorgabe in diesem Jahr missglücken würde. So bleibt noch das Ziel, „Football in der Stadt zu etablieren“. Diese Aufgabe scheint sich immer mehr zur Sisyphosarbeit auszuwachsen. Eine gelungene Party mit passendem Sieg zum Saisonabschluss in drei Wochen wäre da ganz im Sinne des Managers. An Urlaub ist also vorerst doch noch nicht zu denken.