geläufig So mädchenmäßig glücklich

„Das Quartett habe ich mir erst Wochen später bei Freunden auf Video angesehen, weil ich keinen eigenen Fernseher habe. Das war schön. Aber ich musste mir die ganze Zeit vor Augen halten, dass die von mir sprechen. Es musste wirklich jemand neben mir sitzen, mich kneifen und mir sagen: ‚Die meinen dich.‘ Marcel Reich-Ranicki hat mich schon extrem gerührt, ich war so mädchenmäßig glücklich und musste lachen. Ich war verlegen, obwohl mir meine Freunde stolz auf die Schulter geschlagen haben.“ So beschreibt Judith Hermann (Foto) ihre Gefühle, als sie via „Literarisches Quartett“ berühmt wurde. Nun haben wir ja gelernt, dass die Schriftstellerin, die von sich sagt, dass sie nicht gern fotografiert werde, und dennoch auf jedem Foto so aussieht, als versuchte sie krampfhaft den Virginia-Woolf-Lookalike-Contest zu gewinnen, eine zarte Person ist. Sensibel. Mädchenmäßig. Und ihre Bücher, also „Sommerhaus, später“, ihr Erfolgsbuch, und „Nichts als Gespenster“, der gut gesetzte Nachfolger, sind ebenso: zart, verloren, Fäden des Schicksals, die noch ganz toll unklare Liebe, schmale Augen schauen traurig, Weltverlust usf. Nichtsdestotrotz soll die Lesung im Hans-Otto-Theater in Potsdam heute empfohlen sein, sie ist keine Tortur – Judith Hermann hat durchaus das Talent, Geschichten zu erfinden, die man sich wenigstens anhören mag, zudem und vor allem aber ist ihre Selbstinszenierung als rundweg Schüchterne, die von ihrem gut geplanten Erfolg nichts ahnt, außerordentlich sehenswert. Eine gute Showfrau also. SUN

Hans Otto Theater Potsdam, 19.30 Uhr