berliner szenen Sonntagsbesichtigung

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Vielleicht sollte man tagsüber einfach nicht kiffen, aber der Sonntag ist ein verdammt langweiliger Tag. Besonders wenn man schon mittags wach ist und in einem Café ein Bier trinkt. Ich hüpfe die Pappelallee nach Hause und versuche die Pflastersteine zu treffen. Eins, zwei, eins, zwei. Auf einmal sind überall Menschen – 150, vielleicht auch 200. Aus einem Cabrio steigt ein Makler im Anzug und fragt breit grinsend: „Alle zur Wohnungsbesichtigung?“ Zustimmendes Murmeln. Wie Perlen fädeln sich die Wartenden in den engen Hauseingang. Ich stolpere einfach mal mit die Treppe hinauf. Der Aufgang ist steil, immer noch ein Absatz, links rum und wieder links rum und noch einmal. Im vierten Stock endlich das Ziel. Ein Mädchen in einem kurzen Kleid fragt den Makler nach dem Bewerbungsbogen. „Ah, eine Blindbewerbung, das nehmen wir immer gern“, sagt er und streicht sich durchs Haar. Ich stütze mich für einen Moment an der kalten Wand ab, dann rein.

Eine dunkle Zweizimmerwohnung wartet. Viel sehen kann man nicht, nur Menschen, Menschen, Menschen. Eine strenge Grauhaarige mit ihrem pickligen Sohn, die kritisch den Fenstergriff untersucht. Eine schwangere Frau ruft: „Da ist ja gar keine Dusche!“ Sofort stürzen zwei dutzend Füße zu dem Loch in der Wand, in dem sich ein Waschbecken und eine Kloschüssel verbergen. „Dafür kostet sie nur 230 warm“ beruhigt der Makler, dem, umringt von Interessenten, die Anträge ausgegangen sind. Brav werden private Verhältnisse und Einkommen angegeben. Ich schaue aus dem Fenster und sehe, wie sich unten auf dem Gehweg eine Schlange gebildet hat, die langsam ins Haus nachrückt. Sanfte Paranoia meldet sich. Wie komme ich hier wieder raus?

HENNING KOBER