Noch lange nicht vorbei

Bayer Leverkusen gewinnt Spiel eins unter Trainer Klaus Augenthaler mit 3:0 gegen Aufbaugegner 1860 München, verlässt damit die Abstiegsränge – und traut dem Braten dennoch nicht

aus Leverkusen ERIK EGGERS

So richtig jubeln mochten nur die Fans. Als Carsten Ramelow am Samstag gegen 18 Uhr die Bayarena verließ, schlug dem Kapitän von Bayer Leverkusens ein fast ungebremster Beifall entgegen, grade so, als hätte sich seine Mannschaft nach dem deutlichen 3:0-Sieg gegen den TSV 1860 München bereits vor dem drohenden Abstieg gerettet. Ramelow aber verhielt sich beinahe wie nach einer verheerenden Niederlage, die Glückshormone wollten nicht so recht fließen. Lediglich ein kurzes Lächeln huschte über sein ansonsten versteinert wirkendes Gesicht; die in dieser Saison seltenen euphorischen Sympathiebekundungen nahm er fast ungerührt entgegen. Ein paar Autogramme noch für die Fans, dann war er verschwunden.

Die Angst vor dem Absturz ist immer noch präsent. Das offensivste Zitat des Tages lieferte noch Dimitar Berbatov, der nicht nur wegen seines Kopfballtores zum 2:0 eine famose Partie hingelegt hatte. Nun hätten sie wieder eine „große Chance“ auf den Klassenerhalt, beschied der Mittelstürmer optimistisch – und überhaupt sei Leverkusens Platz „bei den Besten“. Die meisten Kollegen hingegen misstrauen der verbesserten Ausgangsposition, in der nun ein Sieg in Nürnberg reicht zum Klassenerhalt. „Na klar bin auch ich jetzt erleichtert“, sagte etwa Ramelow, aber im gleichen Atemzug erinnerte er daran, „dass wir nach guten Spielen immer wieder einen Rückschlag erlitten haben“. Auch Torwart Jörg Butt wollte „keine Luftsprünge machen, das wäre absolut verkehrt“.

Diese Demut lag auch an der Qualität des Gegners. Allen drei Toren waren unfassbare Fehler des Gastes vorausgegangen. Die Führung Bayers bereitete Häßler vor, als er sich den Ball am eigenen Strafraum wie ein Anfänger von Ramelow abjagen ließ. Vor dem 2:0 umkurvte Zivkovic ungehindert Tyce auf der Außenbahn, bevor Berbatov trotz dreier Gegenspieler frei zum Kopfball kam. Die Krönung eines desaströsen Abwehrverhaltens aber bot sich den verblüfften Zuschauern in der 47. Minute. Marko Babic wunderte sich nur kurz, dass ihn nach leichtem Zweikampfgewinn gegen Stranzl keiner mehr angreifen wollte – und schloss die unverhoffte Einladung ab zum dritten Treffer. „Wir waren heute der richtige Gegner für Leverkusen“, meinte Gästetrainer Falko Götz folgerichtig.

Klaus Augenthaler wiederum wollte das nicht so stehen lassen. „Dass die so viele Fehler gemacht haben, lag auch unserem aggressiven Verhalten“, fand der neue Bayer-Coach, der gleichwohl nach dem 3:0 „eine gewisse Verunsicherung“ gesehen haben wollte. So blieb die nach Fußballspielen so oft gestellte Frage erneut unbeantwortet, ob nun eigene Stärke oder gegnerische Schwäche verantwortlich war für das klare Ergebnis.

Eindeutig waren allein die Antworten der Spieler auf Nachfrage nach dem „Auge-Effekt“. „Ein Trainer“, legte Butt kurz und knapp dar, „kann nicht in vier Tagen das taktische System entscheidend verändern“. Und auch das lange Zögern Ramelows in dieser Angelegenheit verriet, wie wenig der Kapitän hält von der Idee, allein der Coach sei verantwortlich zu machen für den souveränen Sieg. Immerhin ließ er sich entlocken, dass die Mannschaft, „sehr, sehr gut eingestellt“ worden sei; zudem sei Augenthalers Ansprache „absolut verständlich“, das komme an bei der Mannschaft. „Wenn er etwas sagt, dann macht das Sinn“, meinte auch Ulf Kirsten, der sieben Minuten vor Schluss eingewechselt worden war und beinahe noch ein Tor erzielt hätte.

Augenthaler selbst legte eine Unaufgeregtheit an den Tag, die wenig gemein hatte mit jener Hysterie, die diesen Klub so oft befallen hat in dieser Spielzeit. „Der erste Teil des Ziels ist erledigt“, begann er die Pressekonferenz, und daraus sprach nun wirklich keine Euphorie, sondern eher die Nüchternheit eines Betriebswissenschaftlers. Auch die Fragen zum ach so pikanten Spiel, dass ihn ja nun bei seiner Rückkehr ins Frankenstadion erwarte, empfand Augenthaler eher als lästig. Viel wichtiger schien ihm die Feststellung, dass sein Team „keine Söldnertruppe“ sei und die Akteure keine „wohlhabenden Absteiger“, zu der die Medien sie bereits abgestempelt hatten. „Jeder Spieler hat eine gewisse Ehre“ – und an die habe er einfach appelliert. Als Wunderheiler unter dem Bayer-Kreuz jedenfalls begreift sich Augenthaler ganz offenbar nicht. Der Weltmeister von 1990 weiß eben von der Vergänglichkeit eines solchen Tages. „Den Sieg werden wir nicht feiern, sondern verdauen“, so „Auge“: „Das Ding ist noch lange nicht vorbei.“ Das ist es erst in Nürnberg. So oder so.

Bayer Leverkusen: Butt - Zivkovic, Lucio, Juan, Placente - Bierofka, Ramelow, Bastürk (67. Simak), Babic - Neuville, Berbatow (83. Kirsten)1860 München: Jentzsch - Meyer, Kurz, Hoffmann, Tyce (78. Max) - Wiesinger, Cerny, Häßler (46. Shao), Schwarz (46. Stranzl) - Schroth, LauthZusch.: 22.500; Tore: 1:0 Bierofka (8.), 2:0 Berbatow (44.), 3:0 Babic (47.)