Die tückische Technologie

Biometrie gilt seit dem 11. September als Zauberformel im Kampf gegen den Terror. Doch der elektronische Check von Auge oder Fingerkuppe ist nach Expertenmeinung längst nicht ausgereift. Heute fragt die Grünen-Fraktion nach Chancen und Risiken

von WOLFGANG GAST

Ein Wort macht Karriere: Biometrie. Im Kampf gegen den Terrorismus setzen Politiker auf digitale Fingerprints, auf Iris- und Gesichtserkennungssoftware. Bundesinnenminister Schily will biometrische Systeme ebenso einführen wie die amerikanischen Fluggesellschaften. Heute will sich die grüne Bundestagsfraktion in einer Fachanhörung mit der Frage beschäftigen, ob die neue Technologie tatsächlich zu „mehr Sicherheit“ verhelfen kann.

Viele Experten sind bislang eher skeptisch. Vor zu viel Euphorie warnt beispielsweise der europaweit führende Anbieter von Sicherheitslösungen für Informationstechnologie und E-Commerce, das Münchner Unternehmen Integralis. Die Verfahren seien nicht ausgereift. Das hätten zuletzt japanische Wissenschaftler der Yokohama National University bewiesen, die elf marktgängige Erkennungssysteme für Fingerabdrücke mit einfachen Mitteln überlisteten.

Der Bundestag hatte es eilig, als er im Herbst 2001 nach den Anschlägen auf Twin Towers und Pentagon die gesetzliche Grundlage für eine biometrische Identitätskontrolle schuf. Deutschland stand damit nicht allein. Zu den eifrigsten Befürwortern der Technik zählen die Vereingten Staaten. Nach den Erfahrungen des 11. September setzen die USA in erster Linie auf rigide Grenzkontrollen. Bis Ende 2003 müssen 28 Staaten, darunter auch Deutschland, alle Visa mit Fotos ausstatten. Damit soll verhindert werden, dass Aufenthaltsgenehmigungen in falsche Hände geraten.

Mehr als anderthalb Jahre nach den Terrorakten ist der Biometrie-Vorstoß nach Ansicht deutscher Sicherheitsexperten aber vom Tisch. Zu teuer, zu fehleranfällig, bei 84 Millionen Einwohnern nicht praktikabel. „Mit der Biometrie fasst man keine Terroristen. Die haben meist echte Papiere und lassen sich selten kontrollieren“, sagt etwa Benedikt Ahlers, Abteilungsleiter Grenzkontrollsysteme bei der Berliner Bundesdruckerei.

Allen biometrischen Verfahren ist gemein, dass sie unveränderliche Kennzeichen wie Iris, Gesicht oder Fingerabdruck mit vorher abgespeicherten Mustern vergleichen. Die Technologie ist aber noch nicht ausgereift. So liegt die Fehlerrate bei der Erkennung von Fingabdrücken bei „bis zu zehn Prozent“, so Integralis-Mitarbeiter Andreas Lamm.

Obendrein ist es japanischen Wissenschaftlern kürzlich gelungen, das System mit einem simplen Trick zu überlisten. Der Kryptografie-Spezialist Tsutomu Matsumoto und seine Studenten haben Lamm zufolge die biometrischen Systeme mit einem Kunstfinger getäuscht. Mit schnöder Knetmasse aus dem Hobbygeschäft nahmen sie einen Abdruck vom echten Finger, den sie anschließend mit Speisegelatine ausgossen. Auf diese simple Weise entstand eine Kopie, die das System nicht erkannte.

Einer der vehementesten Biometrie-Verfechter ist der bayerische Innenminister Günther Beckstein. „Trotz des 11. September ist die Speicherung biometrischer Daten in Ausweispapieren immer noch nicht umgesetzt“, beklagte der CSU-Politiker Ende vergangenen Jahres. „Dabei können wir auf die spezialisierten technischen Möglichkeiten gerade in Zeiten einer zugespitzten abstrakten Gefahr nicht verzichten.“

Ein frommer Wunsch. Denn biometrische Systeme setzen sich bisher nicht einmal in den klassischen Anwendungsfeldern durch, etwa bei der Zutrittskontrolle für sensibler Bereiche wie Flughäfen oder Labors. „In der Praxis kommen diese Systeme bis heute so gut wie nicht zur Anwendung“, sagt Michael Hofmann, Geschäftsführer der AHB Electronic GmbH, einem Hersteller elektronischer Systeme für Zutrittskontrollen. Die Anlagen, die Personen anhand von Körpermerkmalen identifizieren sollen, seien für größere Nutzerkreise noch nicht geeignet.

Das gemeinsame Problem aller biometrischer Verfahren bleibe „der Kampf mit den notwendigen Fehlertoleranzen“, urteilt das Branchenblatt ct. Setzt ein Hersteller mit entsprechendem Aufwand sehr enge Toleranzgrenzen, erhöht er damit zwar die Sicherheit – aber das System ist kaum noch zu bedienen. Lässt er hingegen hohe Abweichungen zu, erhöht sich das Risiko, dass auch Personen ohne Zugangsberechtigung durch die Kontrollen schlüpfen können.

Innenminister Otto Schily (SPD) bekam die Grenzen biometrischer Verfahren bereits persönlich zu spüren. Dreimal besuchte er die inzwischen privatisierte Bundesdruckerei, um sich die neuesten Verfahren vorführen zu lassen. Der Versuch, Schily an seinem Fingerabdruck zu identifizieren, scheiterte jedes Mal. Ungefähr vom 70. Lebensjahr an sei die charakteristische Struktur der Fingerkuppen schwächer ausgeprägt, erklärt der Mitarbeiter der Bundesdruckerei, Benedikt Ahlers. Dann versagten auch hoch empfindliche Scanner. Schily wird im Juli 71 Jahre alt.